Das Weltmuseum Wien als Wohlfühltempel

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Mit einer neuen Programmschiene will Direktorin Claudia Banz an Gegenwärtiges anknüpfen. Der erste Versuch bleibt leider im Ethnokitsch stecken.

Claudia Banz, im Februar angetretene Chefin des Weltmuseums Wien (WMW), wirkt selbst schon ein bisschen, sagen wir, routiniert, als sie bei der Pressekonferenz die Liste der „zeitgenössischen Diskurse“ referiert, an die das zum KHM-Verbund gehörige Haus am Heldenplatz nach ihrem Wunsch anschließen soll: Um ökologische Themen soll es in der neu etablierten Programmschiene „WMW Contemporary“ gehen, um neokoloniale Machtverhältnisse, außerdem um alternative Wissenssysteme, um Erinnerung und um die Bewältigung von Traumata (die der Kolonialismus in vielen Gesellschaften verursacht hat).

In der Kunstwelt sind diese Themenkomplexe jedoch so oft ausgewalzt worden, dass sich eine gewisse Müdigkeit eingestellt hat. Zudem ist die Euphorie für den sogenannten „globalen Süden“ spätestens seit dem Antisemitismus-Debakel der Kunstschau documenta 15 (2022) merklich gebremst, die Polarisierung seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 tat ein Übriges.

Doch offenbar hat die ursprüngliche Aufbruchsstimmung so viel Nachfrage nach Kunst entfacht, die abseits des westlichen Kanons gute Laune verbreitet, dass der Markt ungeachtet dieser Verschiebungen weiter brummt.

Nachdem Banz mit der Skulptur „Washerwoman“ der aus Trinidad stammenden Shannon Alonzo im Theseustempel ein erstes Zeichen gesetzt hat (noch zu sehen bis 5. 10.), ist dieser Strang der Kunstproduktion mit der Ausstellung der Künstlerin Tabita Rezaire nun vollends in Wien gelandet. Wobei in den drei in wohliges Indigoblau getauchten Räumen, die Rezaire bis 11. Jänner im Weltmuseum bespielt, nicht ganz klar ist, ob hier Kunst im engeren Sinn gewollt ist – oder ob nur neue Möglichkeiten ethnologischer Museumsdisplays erprobt werden.

Weltmuseumskunst

Die hölzerne Kuppel, in deren Innerem man auf eine kreisrunde Videoprojektion blicken kann, ist formal und ästhetisch nämlich so unspektakulär wie der Kreis aus indigoblau gefärbten Tüchlein, die im Eingangssaal rund um einen Zirkel von braunen Schalen gruppiert sind. Bei letztgenanntem Werk erscheint die Yoruba-Gottheit Yemoja als Gebärende, Tanzende, Kämpfende.

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Auch die Kuppel, die als eine Art alternatives Planetarium über indigene Vorstellungen des Kosmos erzählen soll, kratzt mit ihren Doku-Segmenten nur an der Oberfläche. In ihrer kruden Montagetechnik und ihrer halsverkrümmenden Anordnung an der Decke sind die Videoclips nicht wirklich lesbar – wer Rezaires Website besucht, merkt aber, dass die trashige Ästhetik Teil ihres Stils ist.

Tatsächlich geht es der 1989 in Paris geborenen, in Französisch-Guyana lebenden Rezaire, die trotz einer respektablen Ausstellungsliste wenig über ihren künstlerischen Werdegang verrät und lieber über ihre Tätigkeit als Kakaofarmerin spricht, weder um Kunstdiskurse noch um Museumsdidaktik: Die Künstlerin, die sich selbst als „Unendlichkeit, inkarniert in eine Akteurin der Heilung“ bezeichnet, möchte, dass ihre Installationen als „Tempel“ gelesen werden.

Tabita Rezaire

Den Höhepunkt erreicht dies im Weltmuseum in einem Pavillon mit tropfenförmigem Grundriss, in dessen Innerem das Publikum aufgefordert wird, der Göttin Yemoja ein Opfer (Honig, Indigo oder Kokosflocken) zu bringen. „Halten Sie Ihr Opfer ehrfürchtig in den Händen und beten Sie darüber, während Sie zum zentralen Altar gehen“, heißt es dazu scheinbar ironiefrei im Wandtext. Und: „Gießen Sie Ihr Opfer mit Liebe in den Tontopf des zentralen Altars.“

Reflexion wird geopfert

Mit Liebe ausgegossen wird offenbar auch jegliche kritische Reflexion darüber, was der Transfer ritueller Praktiken in den künstlichen Museumsraum bedeuten könnte; vergessen scheinen die Debatten um kulturelle Aneignungen und mögliche Unvereinbarkeiten, wenn Ritual und Magie auf eine Institution treffen, die zumindest dem Namen nach als „wissenschaftliche Anstalt“ und nicht als Batikladen firmiert.

Die Möglichkeit, dass Rezaire als Satirikerin agiert und austestet, wie weit westliche Institutionen bereit sind, ihre Kompetenzen fallen zu lassen, besteht natürlich. Tatsächlich hat aber das im Weltmuseum reproduzierte Geschwafel von Heilung durch Kunst längst die Esoteriknische verlassen und ist in aktuelle Kunstdiskurse gesickert.

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Indem Rezaire auf das Atmosphärische, den sogenannten „Vibe“, setzt, ist sie tatsächlich gegenwärtig – als Vertreterin einer Kunst, bei der das Erfordernis genauen Schauens nicht mehr besteht. Doch wo die Künstlerin davon spricht, Polaritäten zwischen Emotion und Verstand auflösen zu wollen, bleibt am Ende nichts von beidem übrig.

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