Vom falschen Edelstein bis zum Regierungsroboter: KHM zeigt täuschende Wachskunst

Sollte der Versuch einer Regierungsbildung dieser Tage in einer ausweglosen Situation münden, wäre zu überlegen, den „Wiener Kaiserautomaten“ zu revitalisieren: Um 1670 soll es eine Figur des Herrschers gegeben haben, die lebensgroß und täuschend echt in Wachs nachgebildet war und Augen und Arme bewegen konnte. Ein ungarischer Gesandter soll beim Anblick des vermeintlichen Regenten ehrfurchtsvoll niedergekniet sein.
Das Kuratorenteam der höchst sehenswerten Ausstellung „Wachs in seinen Händen – Daniel Neubergers Kunst der Täuschung“, die bis 9. Juni in zwei Kabinetten der KHM-Kunstkammer zu sehen ist, hat nun eine heiße Spur zu dem legendenumwobenen Habsburger-Bot freigelegt. Als die Expertinnen und Experten eine Wachsbüste Kaiser Leopolds I. (Bild unten) mittels Computertomographie durchleuchteten, erkannten sie seltsame Details: So sind die Augen nicht aus Wachs, sondern aus Holz gefertigt und weisen Bohrungen auf, die es ermöglicht hätten, diese zu bewegen.

Fakt oder Fake
Noch befinde man sich in einem „Indizienprozess“, betonte KHM-Kurator Paulus Rainer am Montag vor Journalisten. Mit der gezielten Verunsicherung der Sinne – was ist real, was ist Schein – befand sich das Kunstobjekt aber im Zentrum einer Debatte, die im späten 17. Jahrhundert philosophisch und künstlerisch geführt wurde. Der Bildhauer und „Wachsbossierer“ Daniel Neuberger (1621–1680) lieferte am Wiener Kaiserhof das ästhetische Material dazu.
Neubergers Ruhm gründete darauf, verschiedene edle Materialien durch Wachs täuschend nachahmen zu können und in Miniaturreliefs, auf Gefäßen und in Dioramen einen Detailreichtum zustande zu bringen, der mit der Bearbeitung von Eisen, Stein, Holz oder Elfenbein schlicht unmöglich war. Das KHM verfügt heute über einen Großteil der bekannten Werke Neubergers, der durch ein kaiserliches „Privileg“ über eine Art Monopolstellung verfügte.

Die Wiener Schau stellt die Werke gemeinsam mit Stücken der Kunst- und Schatzkammer vor, um den Wettstreit zu verdeutlichen, den der Wachskünstler mit den Steinschneidern oder Goldschmieden seiner Zeit austrug: Die 60 „Szenen aus den Metamorphosen des Ovid“, jede nicht größer als ein Foto-Diapositiv und in einen gitterartigen Schaukasten gepresst, ahmen Reliefs aus Achat nach, sind aber kleiner und genauer.

Auf einem Bildschirm lässt sich in jede Szene hineinzoomen und die exakte Modellierung von Wolken, Gebäuden oder Gesichtern bewundern. Ein Diorama mit dem „Tod Kaiser Ferdinands III. als Sinnbild der Vergänglichkeit“ gab den eigentlichen Anstoß zur Aufarbeitung von Neubergers Oeuvre: Das Werk drohte zu zerfallen.
Fragile Wirklichkeit
Die Fragilität des Materials war auch schuld, dass Wachs an Bedeutung verlor und der Name Neubergers in Vergessenheit geriet. Bis zur Moderne, wie Kurator Rainer mit Verweis auf die aktuelle Schau zu Medardo Rosso im mumok (bis 23. 2.) sagt. Vielleicht ist es Zufall, dass Wachskunst gerade in einer Zeit wieder Aufmerksamkeit erhält, in der die Täuschung und die Umformung der Wirklichkeit eine neue Aktualität bekommen hat.
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