August Diehl als Nazi-Arzt Josef Mengele: "Papa, was hast du in Auschwitz gemacht?"

August Diehl mit Sonnenbriller und Hut.
Der russische Dissident und Regisseur Kirill Serebrennikov verfilmte das Leben des Nazi-Massenmörders Josef Mengele, der nach dem Krieg in Südamerika untertauchte. Mit August Diehl in der widerwärtigen Hauptrolle.

Josef Mengele, einer der grausamsten Massenmörder der Nazis, wurde nie gefasst. Er trug den Beinamen „Todesengel von Auschwitz“ und entschied, wer direkt in die Gaskammern geschickt wurde. Als Lagerarzt unternahm er im Dienst der Nazi-Rassentheorie und Eugenik unsagbar grässliche Menschenexperimente. Nach Kriegsende tauchte Mengele – wie so viele Nazis – zuerst in Argentinien unter, wechselte später erst nach Uruguay und dann nach Brasilien. Dort starb er 1979 beim Baden.

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ erschien erstmals 2017 als faktenbasierter Roman des französischen Schriftstellers und Journalisten Olivier Guez. Er diente als Vorlage für den in Berlin im Exil lebenden russischen Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov, dessen gleichnamige Verfilmung derzeit im Kino zu sehen ist. Die Rolle des perfiden Mengele hat Deutschlands hervorragender Charakterdarsteller August Diehl übernommen und verkörpert den Nazi-Doktor als reuelosen Gesinnungstäter in unterschiedlichen Lebensabschnitten.

In Argentinien unter Juan Perón führte Mengele anfänglich noch ein luxuriöses Leben im Nazi-Jetset. Bei seiner Hochzeitsfeier mit der verwitweten Schwägerin serviert das Dienstpersonal eine dreistöckige Hochzeitstorte mit Hakenkreuzfahne als Verzierung. Die Freunde gratulieren mit einem strammen, dreifachen Sieg Heil.

Überhaupt funktionieren die heimlichen Netzwerke unter den Nazi-Granden blendend. Im Jahr 1956 kann Mengele sogar ohne größere Schwierigkeiten noch einmal in die Bundesrepublik ins bayerische Günzburg zurückkehren, um seine wohlhabende Industriellenfamilie zu besuchen.

Von den Nürnberger Prozessen gegen Kriegsverbrecher bleibt er vorerst unbehelligt, gerät aber mit der Verhaftung von Adolf Eichmann 1960 zunehmend unter Druck. Die Sechziger- und Siebzigerjahre werden zu einer Odyssee durch Paraguay und Brasilien, wo ein immer paranoider werdender Mengele in heruntergekommenen Wohnungen Zuflucht sucht. Als sein Sohn Rolf – natürlich unter falschem Namen – auf Besuch kommt, stellt er dem Vater die entscheidende Frage: „Papa, was hast du in Auschwitz gemacht?“

Als Antwort bekommt er die unflätigen Schimpftiraden eines miefigen Nazis, Rassisten und Frauenverachters um die Ohren geschlagen, der keinen Millimeter von seinen Überzeugungen als Herrenmensch abrückt („Reue hat hier nichts verloren!“).

Symbol des Bösen

Anstelle von Reue, tut sich Mengele selbst am meisten leid: Ausgerechnet er wird zum Symbol des Bösen gemacht! Ausgerechnet auf seinen Kopf ist eine Summe als Kriegsverbrecher ausgesetzt! Wo es doch 20 andere Nazi-Ärzte gab, die Menschenexperimente durchgeführt haben: „Warum gerade ich?“

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Kirill Serebrennikov: Kein Mitleid mit altem Mann.

Als das Projekt der Buchverfilmung an Kirill Serebrennikov herangetragen wurde, wusste er vom Leben Mengeles „nur die allgemeinen Fakten, aber keine Details“, erzählt er im KURIER-Gespräch. Er begann einen langen Rechercheprozess und unternahm viele Interviews mit (jungen) Deutschen, die er zu ihrem Verhältnis zu Eltern und Großeltern befragte.

Tatsächlich bilden die konfrontativen Gespräche zwischen Mengele und seinem Sohn Rolf „das Rückgrat des Films“, sagt Serebrennikov, „zumal die Buchvorlage kaum Dialoge geboten hat und ich sie erfunden habe, um all die Gedanken und Geschichten zu erzählen.“

Tief beeindruckt von Jonathan Littells Tatsachenroman „Die Wohlgesinnten“, das „im Grunde der Monolog eines SS-Offiziers ist“, habe er beschlossen, „die Kamera in den Kopf von Mengele zu setzen und aus seiner Perspektive zu erzählen“, so Serebrennikov: „Das ist eine sehr ungewöhnliche Perspektive, weil meistens aus der Sicht der Opfer erzählt wird.“

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August Diehl in "Das Verschwinden des Josef Mengele".

Die Fluchtstationen Mengeles rekapituliert Serebrennikow in messerscharfen Schwarz-Weiß-Bildern, denn „sein Leben nach dem Krieg war wie ein Film noir, verdüstert von schrecklichen Schatten“. Einzig Mengeles Erinnerungen an seine Zeit in Auschwitz erzählt Serebrennikov in bunten Farben im Stil eines selbst gedrehten Home-Movies: SS-Offiziere grinsen in die Kamera, rauchen Zigarette oder schießen Gefangenen eine Kugel in den Kopf. Weitere Aufnahmen zeigen Mengeles grässliche medizinische Menschenversuche und Verstümmelungen.

Mit diesen Bildern bricht Serebrennikov klar das Gebot von „Shoah“-Dokumentaristen Claude Lanzmann, wonach sich die Gräuel des Holocausts nicht in fiktiven Bildern darstellen lässt.

„Ich wollte zeigen, was Mengele in Auschwitz tat“, bekräftigt der Regisseur: „Natürlich ist die Wahrheit noch viel schlimmer. Aber es war trotzdem wichtig, denn sonst bleibt Mengele als armer, alter Mann übrig, der uns leidtut, weil sich die Welt gegen ihn verschworen hat. Stattdessen ist er jemand, der furchtbare Verbrechen beging.“

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