Annie Ernaux' „Der junge Mann“: Verkörperte Vergangenheit

Von Marie-Sarah Drugowitsch
Im Wiener Kosmos Theater, in Koproduktion mit Pistoletta Productions, wurde erstmals in Österreich der teils autobiografische Text „Der junge Mann“ der französischen Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux inszeniert. Die politische Haltung der Autorin zur BDS-Bewegung ist umstritten, aber darum geht es an diesem Abend nicht.
Im Zentrum steht die Affäre einer Mittfünfzigerin mit dem um 30 Jahre jüngeren Mann A., die sie an ihre Jugend, geprägt von sozialen Differenzen zwischen „proletarischer Welt“ und „Bildungsbürgertum“, erinnert. „Er war die verkörperte Vergangenheit. Mit ihm durchlief ich alle Alter meines Lebens.“
Textpassagen
In der Textfassung von Elisabeth Gabriel wird „Der junge Mann“ klug mit früheren Texten Ernaux‘ verwebt. Die Abtreibung aus „Das Ereignis“ oder die Demütigung der ersten sexuellen Erfahrung aus „Erinnerung eines Mädchens“ sind genau jene Erlebnisse, an die sich die Ich-Erzählerin während ihrer Beziehung zu dem Studenten erinnert.

Johanna Orsini verkörpert das gegenwärtige Ich der Mittfünfzigerin, Lili Winderlich überzeugt mal als Liebhaber, mal als junges Ich. Sie bewegen sich durch einen mit Nylonstrümpfen behangenen Raum, der auch als Leinwand fungiert, begleitet mit Live-Musik von Teresa Rotschopf.
In knapp 70 Minuten wird ein Einblick in das Werk Ernaux' gegeben, manchmal steht das physische Spiel - Schreien, Tanzen, Weinen - der stilistisch glasklaren und nüchternen Sprache als zu harter Kontrast gegenüber.
Weitere Termine: 20., 21., 22., 26., 27., 28. März jeweils um 20:00
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