Bereits im Besitz eines Oscars ist Angelina Jolie, deren Auftritt dem Lido ganz besonders Starglanz verleiht. Venedig-Chef Alberto Barbera ist nicht umsonst für seine guten Kontakte nach Hollywood bekannt. Sein Festival gilt als verlässlicher Erfolg; selbst unter der Regierung von Giorgia Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d’Italia konnte Barbera, der der linken Kulturszene zugerechnet wird, seine Position behaupten; sein Vertrag wurde um zwei weitere Jahre verlängert. Und schon des Öfteren wurde aus einem venezianischen Löwen ein amerikanischer Oscar – zuletzt mit Yorgos Lanthimos’ „Poor Things“.
Oper statt Punk
Auch Angelina Jolie wird sich für ihre Rolle als legendäre Opernsängerin Maria Callas in dem Drama „Maria“ von Pablo Larraín gute Oscar-Chancen ausrechnen. Bei der Pressekonferenz in Venedig versicherte sie jedoch, dass es ihr in erster Linie darum ginge, die Callas-Fans nicht zu enttäuschen. Musikalisch tendiere sie selbst eher Richtung Punk – bis heute sei The Clash einer ihrer Lieblingsbands. Mit zunehmend Alter hätte sie sich aber auch der Klassik zugewandt: „Keine Musik kann Schmerz so gut ausdrücken wie die Oper.“
Schmerz ist es auch, der den Lebensstoff von „Maria“ imprägniert. Bereits mit „Jackie“ und „Spencer“ hat sich der chilenische Regisseur mit den Biografien ikonischer Frauen – Jackie Onassis und Lady Di – befasst. Mit „Maria“ setzt er einen vorläufigen Schlusspunkt unter seine tragische Trilogie. „Musik entspringt dem Unglück“, erklärt im Film Maria Callas einem Journalisten. Unglück ist es auch, das die letzten Jahre der Callas besonders prägt. Larraín beginnt am Todestag – am 16. September 1977 – als sie 53-jährig in Paris verstarb. Dann dreht er die Zeit eine Woche zurück und rekapituliert im freien erzählerischen Fall die letzten Tage der Griechin.
Rausch und Wirklichkeit
Maria Callas hat sich zurückgezogen. Sie ist abhängig von Tabletten, deren Rauschzustände Wirklichkeit und Fantasie ineinanderfließen lassen. Trotz ihrer angeschlagenen Stimme beginnt Maria wieder zu singen – allerdings erstmals nur für sich selbst.
Larraín beschwört die 70er-Jahre in Bernsteinfarben und mischt sie mit Schwarzweiß-Bildern aus der Vergangenheit. Durch den Gesang taucht Callas tief in die Vergangenheit – ihre trübe Kindheit in Athen, ihre zerbrochene Beziehung zu Aristoteles Onassis – ein.
Über ein halbes Jahr hat sich Jolie auf die Rolle vorbereitet und lässt ihre Stimme nun mit der von Callas verschmelzen. Mit großen Arien – „Sing nicht, schrei!“, so die Anweisung des begleitenden Pianisten –, werden große Gefühle wachgerufen, die Jolie eindrucksvoll über ihr etwas entrückt wirkendes Antlitz rinnen lässt. Dabei vergisst man nie, dass man das Gesicht von Angelina Jolie sieht und nicht das von Maria Callas.
Für eine Oscarnominierung wird es aber auf jeden Fall reichen. Und auch Netflix hat den Film bereits gekauft.
Auch eine Tragödie, allerdings mit den Mitteln des oft schrägen Humors, erzählt Larraíns argentinischer Kollege Luis Ortega mit „Kill the Jockey“. Im Mittelpunkt steht ein Jockey namens Remo, dessen Drogenexzesse seine erfolgreiche Karriere gefährden. Eine Gruppe von Mafiabossen setzt ihn unter Druck, doch Remo entzieht sich, indem er seine Geschlechterrolle wechselt und als Dolores auftritt. Gewitzt untergräbt Luis Ortega mit seiner queeren, schwarzen Komödie die patriarchalen Strukturen der argentinischen Gesellschaft. Seine pointierten Bilder und einfallsreiche Erzählweise sorgten für die erste große Überraschung im Wettbewerb von Venedig.
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