Regisseur Michael Gampe bemühte sich auch nicht sonderlich, die vier von ihm ausgewählten Szenen zu verzahnen. Mit „Take This Waltz“ von Leonard Cohen gibt es zumindest, auch wenn das Morbide des Songs keine Entsprechung findet, ein musikalisches Motto: „Now in Vienna there’s ten pretty women …“ Und Anatol kennt sie alle: Gampe beginnt den Eindreiviertelstunden langen Abend damit, dass Don Giovanni seinem Leporello einen Koffer mit Erinnerungen an die süßen Mädel und alle jene, die schon während der Eroberung Geschichte waren, bringt. Er suche Asyl für seine Vergangenheit, sein Jugendleben. Läuterung aber gibt es keine, wie sich zeigt: Gleich nach dieser „Episode“ stellt Anatol einer noblen Dame nach: „Ich verfolge Sie!“
Die Dialoge in die Gegenwart zu holen, wagen Alexandra Burgstaller (Bühne) und Erika Navas (Kostüme) nicht: Sie verorten die Handlung zwar nicht Ende des 19. Jahrhunderts, aber zumindest in den 20er-Jahren – mit Glitzer und vielen Fransen. Dass Johanna Arrouas als Gabriele, die sich der Etikette unterworfen hat, mit zarten Pumps durch den Schnee läuft, um ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen, verwundert aber doch ein bisschen.
Der Neue Spielraum, arenaartig angelegt, erlaubt keine realistischen Bühnenbilder: Zwischen zwei Tribünen hat Alexandra Burgstaller einen Spiegel aufgehängt, in dem sich Anatol gern betrachtet. Das reicht als Hinweis auf dessen Narzissmus. Für die notwendige Distanz zum Geschehen auf der schwarzglänzenden Spielfläche sorgt auch die betont sachliche Artikulation – ohne Wiener Melodie in der Sprache.
Verwöhnt und verhöhnt
Der Anatol wurde mit Anton Widauer ungewöhnlich jung besetzt. Aber das passt: Kein weise gewordener Schnitzler hält Rückschau auf die Eskapaden, sein unreifes Alter Ego steckt mitten drin. Widauer verkörpert daher auch keinen strahlenden Helden, sondern einen Loser, der zumeist den Kürzeren zieht. Er trägt zwar feines Tuch und schwarze Lederschuhe, bleibt aber unverbindlich und konturlos – im Vergleich zu Claudius von Stolzmann, der im Pyjama barfuß in sich ruht: Max, ungleich intellektueller, belächelt, ja verhöhnt seinen Freund immerzu. Widauer wird von ihm richtig an die (imaginäre) Wand gespielt.
Das muss so sein. Denn dessen verwöhnter, eitler Lebemann vermag eben nicht die Damen der Gesellschaft zu beeindrucken, sondern nur die Mädel der Vorstadt mit Geschenken und feudalem Lebensstil. Für das stärkste Statement sorgt die Tochter der Intendantin: Paula Nocker muss sich als impulsive Annie noch einmal den Bauch mit Austern vollschlagen, bevor sie Anatol den Laufpass gibt. Dieses „Abschiedssouper“ ist der Höhepunkt – und wunderbar witzig. Denn eigentlich wollte ja er Schluss machen. Nun, in der Ehre gekränkt, holt er zu bösartigen Verbalattacken aus.
Die letzte Szene (mit Miriam Fussenegger als von schlechtem Gewissen geplagte Ehefrau) fällt deutlich ab. Doch die Botschaft wird klar: Anatol bleibt allein zurück.
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