"Am Ziel": Zerteilte Sprachwurst und große Alkohol-Operette

„Am Ziel“, uraufgeführt 1981, natürlich in der Regie von Claus Peymann, ist vielleicht Thomas Bernhards komischstes Stück.
Hier wird nicht grimmige Vergangenheitsbewältigung betrieben, sondern eine Situationskomödie geschildert. Eine Mutter und ihre Tochter sind einander durch lustvolle Hassliebe verbunden, die sie aggressiv redend (die Mutter) und aggressiv schweigend (die Tochter) zelebrieren.
Als Zuschauer in ihrem Familiendrama haben sie sich einen „dramatischen Schriftsteller“ eingeladen, der gar nicht anders kann, als lustvoll leidend in die Falle zu gehen und zum Mitspieler zu werden. Jede der drei Figuren führt nun ihre persönliche Lebensoperette auf und macht die anderen zum Publikum.

Davon abgesehen geht es, wie immer bei Bernhard, um das verhasste und geliebte Theater und um die Sprache, die wie ein sorgsam komponiertes Musikstück zur Besichtigung frei gegeben wird.
2015 wurde „Am Ziel“ in der Josefstadt als große, ernste Oper aufgeführt und geriet trotz Andrea Jonasson ein wenig gar seriös und bedeutungsschwer.
Wurst
Regisseur Matthias Rippert geht im Kasino des Burgtheaters einen ganz anderen Weg. Er zerteilt Bernhards Sprachwurst in viele winzige Mini-Komödien, betont das Operettenhafte der Geschichte, schreckt auch vor Slapstick nicht zurück und lässt beide Frauen hungrig die feisten Oberschenkel des Schriftstellers kraulen. Das Ergebnis ist eindrucksvoll: So komisch hat man Bernhard schon lange nicht mehr erlebt.
Dörte Lyssewski gibt die Mutter mit sichtbarer Lust an den eigenen darstellerischen Fähigkeiten und zeigt eine virtuose Studie einer alkoholischen Entgleisung, von der sich lösenden Zunge über motorische Störungen bis hin zur finalen Magenentleerung.
Im Theater sagt man: Nichts ist so schwer, wie einen Betrunkenen zu spielen, und Lyssewski macht das wirklich großartig, ohne in die Parodiefalle zu gehen.

Maresi Riegner gibt der Tochter ein trottelhaftes Dauerlächeln und deutet dahinter Abgründe an – möglicherweise ist die Tochter hier nicht Opfer, sondern die wahre Herrin des Geschehens.
Rainer Galke zeigt als „dramatischer Schriftsteller“ Genuss am klassischen künstlerischen Leiden: Der kommerzielle Erfolg wird getrübt durch die Unzufriedenheit mit dem eigenen Schaffen. Außerdem ist er nur allzu bereit, auf die amourösen Angebote von Mutter und Tochter einzugehen.
Man würde gerne den nicht existenten dritten Akt sehen – wie entwickelt sich diese Ménage-à-trois?
Langer Beifall.
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