Widersprüche
Normal kann also vieles sein. Und vieles ist normal. Besonders die Vielfalt. Und die damit verbundenen Widersprüche.
Entworfen hat das Stück der Theatermacher Martin Gruber, der bereits seit 35 Jahren erfolgreich (und mit Haltung) mit seinem Aktionstheater Ensemble zwischen Vorarlberg und Wien unterwegs ist. Gleich zu Beginn des Abends gibt Babett Arens, die bissig-humorige Moderatorin dieser Unterhaltungsshow, die Rahmenbedingen vor. Sie spricht von "Umwälzungen" nach den bevorstehenden Wahlen. Davon, dass wir es danach mit einem "Volkskanzler" zu tun haben werden und dass man sich auf diese Herausforderungen, "die eben so ein viertes Reich mit sich bringen" als Künstlerin, als Künstler vorbereiten müsse. Deshalb habe man ein schönes Programm zusammengestellt, "das uns mit Mut und Zuversicht in diese neuen Zeiten führt“.
Der Untertitel des neuen Stücks lautet "Ein Salon d’amour-Stück". Und in so einem Salon, oder Kaffeehaus, wird das Stück auch aufgeführt. Es stehen ein paar Tische herum, dahinter wartet eine Band auf ihren Einsatz. Es herrscht Bar-Atmosphäre. Die Schauspielerinnen und Schauspieler lümmeln herum und warten darauf, von der Showmasterin Babett aufgerufen zu werden. Danach darf jeder sagen, was ihr oder ihm ganz besonders am Herzen liegt.
Isabella Jeschke macht den Anfang. Sie will reden. Aber nicht über Politik. Sie gibt infolge die Klischee-Influencerin, die nur noch das Schöne an sich heranlassen möchte (und macht von sich andauernd Selfies). Michaela Bilgeri ist natürlich auch schön, wie sie selbst sagt. Und obendrein kann sie auch noch ganz viel für die Gesellschaft leisten: Sie ist nämlich eine gute Kellnerin und kann die Speisekarte auswendig. Sehr brav. Denn wer nichts leistet, ist bekanntlich in einer kapitalistischen Welt nichts wert. Berührend dann der Auftritt von Zeynep Alan, die hofft, dass ihr migrantischer Hintergrund ob ihrer weißen Haut nach der Wahl nicht zum Problem werde: "Man sieht ja gar nicht, dass ich einen migrantischen Background habe. Das heißt, ich könnte auch die Petra oder Sabine spielen, was ich ja auch gemacht habe."
Thomas Kolle macht sich stattdessen über seinen Penis Gedanken. Ist er normal, normal groß? Wie vieles im Leben auch, kommt auf den Blickwinkel drauf an. Es endet mit einer bildlich vorgetragenen Erläuterung einer operativen Penisverlängerung: Die von Tamara Stern, die an diesem Tag vor allem als Sängerin agiert, geleitete Performance (aller Schauspieler) endet mit dem ausgestreckt erhobenen rechten Arm endet. "Wenn er ganz klein ist, steht er von selber".
"Weil der Mensch zählt"
"Alles normal" ist zwar ein „normales“ Aktionstheaterstück, aber es verlässt gewohnte Bahnen: Es wird weniger getanzt. Dafür gibt es mehr performative Elemente, Einzelszenen, die für sich stehen, aber zusammen betrachtet auch mehr sind als die Summe der einzelnen Teile. Die Wirkung des Stücks liegt in der Überhöhung des vordergründig Banalen, das aber am zweiten Blick mit einer enorme Tiefe bzw. Schlagkraft ausgestattet ist. Es regiert der Galgenhumor.
Die scheinbar willkürliche Szenenabfolge von Outings, Politphrasen und klassisch gebauten Dialogen wird durch die "Salon-Band" aufgegriffen. Gespielt werden dann mal punkigere, mal sanftere Töne, Musik als Stimmungsverstärker. Das funktioniert und harmoniert mit dem Schauspiel ausgezeichnet.
Dazu werden über neun Videoleinwände Werbesprüche à la "Glaub an dich", "Erleben, was verbindet", "Weil der Mensch zählt" eingespielt. Am Ende ist dort zu lesen: "Es wird Verletzungen und Verwundungen geben - es wird ein anderer Wind wehen in diesem Land". Diese Zeilen stammen aus den aggressiven Bierzeltreden von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Das Orchester kontrastiert diese Drohung mit "Take this Waltz" von Leonard Cohen. Man hat schon mal sorgenfreier gelacht.
Termine: Sonntag, 14. Jänner. Mittwoch, 17. Jänner. Donnerstag, 18. Jänner. Freitag, 19. Jänner sowie Samstag, 20. Jänner - jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Werk.
Konzept/Inszenierung: Martin Gruber | Text: Martin Gruber und aktionstheater ensemble sowie Elias Hirschl, Wolfgang Mörth u.a. | Dramaturgie: Martin Ojster | Regie-Assistenz: Manuela Schwärzler | Bühne/Kostüme: Valerie Lutz | Video: Resa Lut | Medienkontakt: Gerhard Breitwieser | Musik: Monica Anna Cammerlander (Cello), Atanas Dinovski (Akkorden), Lisa Lurger (Gesang, Keybords), Daniel Neuhauser (Schlagzeug, Gesang), Severin Trogbacher (E-Gitarre, Gesang), Tobias Pöcksteiner (Kontrabass, E-Bass, Gesang), Tamara Stern (Gesang) | Darsteller:innen: Zeynep Alan, Babett Arens, Michaela Bilgeri, Monica Anna Cammerlander, Elias Hirschl, Isabella Jeschke, Thomas Kolle, Tamara Stern
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