Cannes: Alice Rohrwachers "Happy As Lazzaro“ ist Palmen-Anwärter

Adriano Tardiolo als wundersame Lichtgestalt in dem Meisterwerk von Alice Rohrwacher: "Happy As Lazzaro“
Standing Ovations für Alice Rohrwachers "Happy As Lazzaro“, einem Höhepunkt im Wettbewerb von Cannes.

Eine Welle der Begeisterung schlug Regisseurin Alice Rohrwacher bei der Premiere ihres Films „Happy As Lazzaro“ in Cannes entgegen. Die Standing Ovations und Jubelrufe wollten kein Ende mehr nehmen, und sowohl das Filmteam wie auch das Publikum schwammen in Tränen der Rührung und des Glücks.

Fast könnte man es einen „Toni Erdmann“-Moment nennen.

Die 36-jährige italienische Regisseurin Alice Rohrwacher ist in Cannes längst keine Unbekannte mehr. Im Jahr 2014 landetet sie mit ihrem ungewöhnlichen Familienfilm „Land der Wunder“ einen Überraschungshit und erhielt dafür den Großen Preis der Jury in Cannes. Mit ihrem fabelhaften „Happy As Lazzaro“ steht sie nun klar in der ersten Reihe für einen weiteren großen Preis, wenn nicht gar für die Goldene Palme.  

Forrest Gump

Dabei klang die Ankündigung des Films im Festival-Katalog so gar nicht vielversprechend, sondern  eher nach fadem Aug’: Von einem jungen Landarbeiter namens Lazzaro ist da die Rede, der ein so naives und freundliches Wesen hat, dass ihn seine Umgebung für einfältig hält und gerne ausnützt. Eine Art bäuerlicher Forrest Gump, sozusagen – doch diese Inhaltsangabe führt auf falsche Fährte.

Rohrwacher entwirft mit zarten Strichen und im formschönen Super-16-mm-Schmalfilmformat eine bäuerliche Welt der 1980er Jahre, die völlig aus der Zeit gefallen scheint. Ein italienische Adelige hält ihre Arbeiter wie Leibeigene und lässt sie ohne Entgelt auf ihren Tabakfeldern schuften. Männer, Frauen, Kinder leben in ärmlichsten Verhältnissen – und unter ihnen der schwarz gelockte junge Lazzaro. Er verkörpert in Rohrwachers klassenkämpferischem Landschaftsporträt jene Tugenden, die eine ausschließlich auf Profit orientierte Moderne längst verabschiedet hat. Und das ehemalige Landarbeiterproletariat verwandelt sich an den industrialisierten Stadträndern zum räudigen Lumpenproletariat.

Alba Rohrwacher, die formidable ältere Schwester von Alice, spielt eine jener Stadtstreicherinnen, die sich mit gestohlenen Antiquitäten über Wasser hält. Inmitten dieser entzauberten Welt stellt Lazzaro mit seinem Engelsgesicht so etwas wie eine Lichtgestalt dar. Rohrwachers Gesellschaftsstudie entwickelt magische Momente, ohne jemals ins Esoterische zu kippen. Doch ruft sie nicht nur die Geschichte einer (historischen) Ausbeutung auf, sondern mit ihr auch gleich die Geschichte des italienischen Kinos. Lazzaro selbst sieht  aus, als hätte es sich aus einem frühen Pasolini-Werk in Rohrwachers filmische Gegenwart verirrt. „Happy As Lazzaro“ lebt aber keineswegs von Referenzen zu anderen Filmen, wiewohl sie ihm einen wunderbaren Resonanzraum bauen, sondern ist sein eigenes Meisterwerk.

 

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