200 Jahre Beethovens Neunte: Eine Symphonie schreibt Weltgeschichte
Beethovens Neunte. Eines der bedeutendsten Musikwerke aller Zeiten feierte vor 200 Jahren in Wien seine Uraufführung. Beethoven war bereits vollkommen taub, als er es komponierte
Es war wohl einer der berührendsten Momente der Musikgeschichte. Im Wiener Theater am Kärntnertor fand am 7. Mai 1824 die Uraufführung von Ludwig van BeethovensNeunter Symphonie statt.
Da das Genie zu diesem Zeitpunkt bereits vollkommen taub war, musste ein anderer Musiker die Leitung des Orchesters übernehmen. Beethoven stand mit dem Rücken zum Publikum, um die Worte der Sänger von ihren Lippen ablesen zu können. Am Ende des Konzerts brach frenetischer Beifall aus, den der Komponist nicht mitbekam. Da nahm ein Musiker Beethoven an der Hand und wandte ihn dem Publikum zu. Jetzt erst sah er die begeisterte Menge und dankte den Zuhörern durch zahlreiche Verbeugungen.
Die Neunte ist auch 200 Jahre nach ihrer Uraufführung eines der populärsten Werke der klassischen Musik. Dabei war die Entstehung der heutigen Europahymne mit Problemen behaftet.
Schiller hatte den Text zur Ode „An die Freude“ bereits 1785 verfasst. Beethoven, damals erst 15 Jahre, faszinierten die Worte „Alle Menschen werden Brüder“ dermaßen, dass er sie vertonen wollte. Doch es dauerte noch mehrere Jahrzehnte bis er, mittlerweile von Bonn nach Wien übersiedelt, die ersten Noten schrieb.
Der größte Teil des Monumentalwerks entstand in den Sommern 1821 bis 1823 in Baden bei Wien (im heutigen Beethovenhaus), vollendet wurde es im Februar 1824 in seiner damaligen Wiener Wohnung in der Ungargasse 5.
Finanzielles Risiko
Für Beethoven war die Erstaufführung mit großem finanziellen Risiko verbunden. Es gab kein Konzerthaus und keinen Musikverein, die sich darum rissen, ein Werk des damals schon berühmten Komponisten aufzuführen, und es fand sich auch kein Mäzen, der das Entstehen der Neunten gesponsert hätte.
Also musste der Meister einen geeigneten Saal finden, diesen aus eigener Tasche mieten und für die Bezahlung der Sänger, des Dirigenten und des 89-Mann-Orchesters aufkommen. Allerdings war er, anders als Mozart, finanziell recht gut abgesichert. Außerdem waren die Darbietungen seiner acht bisherigen Symphonien erfolgreich gewesen.
Geplant war die Uraufführung der Neunten im Theater an der Wien, doch als es dort zu Auseinandersetzungen mit dem Intendanten kam, entschied sich Beethoven für das Kärntnertortheater, das etwa dort lag, wo sich heute das Hotel Sacher befindet. Aber auch da gab es Komplikationen, als der als schwierig verschriene Komponist sich mit einigen Choristen zerstritt und eine Solistin während der Probenzeit dem Alkohol allzu sehr zusprach.
„Wie ein Wahnsinniger“
Auf dem Programmzettel des Abends stand, dass „Herr L. van Beethoven selbst an der Leitung des Ganzen teilnehmen“ würde, wobei er sich „wie ein Wahnsinniger“ verhalten haben soll, erinnerten sich Mitwirkende. Beethoven war natürlich nicht wahnsinnig, er litt vielmehr qualvoll unter seiner Taubheit, die ihn daran hinderte, am Gesellschaftsleben teilzunehmen. Die einzige Möglichkeit, sich mit Freunden und Musikerkollegen zu unterhalten, waren seine Konversationshefte, durch die man mit ihm schriftlich verkehren konnte.
Es herrscht im Prinzip ja auch sonst in den Konzertsälen kein Mangel an dem beliebten Werk: Beethovens Neunte ist ein Hit der klassischen Musik, der verlässlich viel Publikum anzieht und Begeisterung auslöst. Zum 200-Jahr-Jubiläum wird es aber noch mal feierlicher: Bereits am Samstagnachmittag spielten die Wiener Philharmoniker im Musikverein das erste ihrer dem Jubiläum gewidmeten Konzerte. Stardirigent Riccardo Muti steht auch am Jahrestag selbst, dem 7. Mai, am Pult. Stars wie die Mezzosopranistin Marianne Crebassa oder Bass Günther Groissböck singen – auch im TV.
Die Philharmoniker holten mit dem Theatermuseum und der Staatsbibliothek zu Berlin auch die größte je in Österreich gezeigte Auswahl an Blättern der handschriftlichen Partitur nach Wien (bis 1. Juli, Theatermuseum).
Und in Wuppertal wird die Uraufführung rekonstruiert: Das Orchester Wiener Akademie unter Martin Haselböck lässt das Uraufführungsprogramm am 7. und 8. Mai in originaler Besetzung und Aufstellung sowie in der von Beethoven konzipierten Programmkonstellation erklingen.
Als er noch hören konnte
Das Schlimmste aber war, dass Beethoven seine eigene Musik nicht hören konnte. Er war auf die Sänger und Musiker angewiesen, deren Fähigkeiten er aus der Zeit kannte, als er noch hörte.
Die musikbegeisterten Wiener warteten gespannt auf das neue Werk des Giganten. Aus heutiger Sicht unglaublich, dass man die Karten nicht nur an der Theaterkassa, sondern auch bei Beethoven persönlich, in dessen Wohnung, erwerben konnte. Nicht genug damit, verteilte er vor mehreren Adelspalais eigenhändig Reklamezettel für den Abend. Die Kartenpreise waren im Vergleich zu heute ungleich teurer, und so waren es fast ausschließlich Aristokraten und Fabrikanten, die sich den Besuch eines solchen Ereignisses leisten konnten.
Beethovens Honorar
Der Applaus in dem ausverkauften Haus war überwältigend, das Publikum winkte auch lebhaft mit Taschentüchern, wissend wie es um den 54-jährigen Komponisten bestellt war. Sein Honorar wurde Beethoven gleich nach der Vorstellung vom Theaterkassier ausbezahlt. Dem Meister blieben nach Abzug von Saalmiete, Gesangs- und Musikerspesen 420 Gulden Wiener Währung, die heute rund 7.000 Euro entsprechen.
Während der Kritiker der Allgemeinen Musikalischen Zeitung in seiner Rezension nach der Uraufführung erkannte, dass Beethovens „unerschöpfliches Genie uns eine neue Welt erschloss“, hielten andere den vierten und letzten Satz, die „Ode an die Freude“, für „trivial“ oder gar für „monströs und geschmacklos“. Mittlerweile wissen nicht nur Musikkenner, dass die weniger bekannten epochalen Klänge der Sätze eins bis drei der Größe des populären vierten Satzes um nichts nachstehen.
Komponieren ohne Gehör
Die rund 70 Minuten dauernde Neunte op. 125 ist Beethovens letzte vollendete Symphonie. Er sollte noch erleben, dass die Neunte auch in England, Deutschland und Frankreich aufgeführt wurde, ehe sie um die Welt ging.
Bleibt die Frage, wie es überhaupt möglich ist, ein Werk – noch dazu eines der gewaltigsten der Musikgeschichte – ohne Gehör zu erschaffen. „Er war als Hörender geboren worden und hatte eine Ausbildung zum Musiker erhalten“, erklären die Experten des Beethovenhauses in Bonn das Phänomen. „Für das Komponieren selbst ist ein reales Hören nicht nötig, es geschieht im Kopf, in der inneren musikalischen Vorstellungswelt.“
Und doch wird die Neunte Symphonie für alle Zeiten ein Wunder menschlicher Genialität bleiben.
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