Wie aus dem großen Fressen die große Fresse wird

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Wolfram Kautzky geht in seiner Kolumne "Wortklauberei" den Wörtern auf den Grund.
Wolfram Kautzky

Wolfram Kautzky

Im Rahmen der Bewerbung der Aktion „Licht ins Dunkel“ ist im ORF derzeit immer wieder von der „Teilhabe“ die Rede. Gemeint ist damit, vereinfacht gesagt, dass bestimmten Personengruppen (besonders Menschen mit Behinderung) ermöglicht wird, an allen Bereichen des Lebens mitzuwirken, also an ihnen teilzuhaben.

Sprachlich gesehen wohnt dem Begriff etwas Ungewöhnliches inne: Wird ein Verbum („einschlafen“, „schnarchen“, „aufwachen“ etc.) substantiviert, geschieht das im Deutschen üblicherweise durch Hinzufügen des neutralen Artikels („das Einschlafen/das Schnarchen/das Aufwachen“). Nicht so in diesem Fall: Hier wird der feminine Artikel verwendet und das „n“ am Schluss weggelassen: „das Teilhaben“ wird zu „die Teilhabe“.

Auch Leser Thomas B. hat sich über den momentan sehr beliebten Begriff Gedanken gemacht:

Ich kannte dieses Wort bislang nicht. Meines Erachtens müsste man hier den Begriff des „Teilhabens“ verwenden. […] Ich weiß nicht, ob diese Verbiegung sprachwissenschaftlich korrekt ist, meine jedoch, dass sich dadurch künftig andere neue Sprachbilder ergeben werden. Man wird dann den Film „Die Schweige der Lämmer“ ebenso sehen können wie „Die große Fresse“. Im Fernsehen wird sich der Sternekoch schon auf die „Koche“ mit den Kandidaten freuen und Bücher oder Lieder würden sowieso neu geschrieben werden (z.B. „Die Wander ist des Müllers Lust“). Ich persönlich freue mich schon auf Weihnachten, da ich immer gerne der „Turmblase“ lausche und die „Schenke“ für mich besondere Bedeutung hat.

Eine kleine Korrektur ist an dieser Stelle anzubringen: Der Begriff „die Teilhabe“ ist so neu gar nicht – er stand schon 1929 erstmals im Rechtschreibduden (vielleicht als Analogie zur ebenfalls femininen „Teilnahme“). Davon abgesehen muss der Wortklauber zugeben: Er hat den Leserbrief von Herrn B. mit einer breiten Schmunzel gelesen.

Fundstück der Woche: „Die Frau wurde schwer verletzt, im anderen Pkw gab es zwei Leichtverletzte: einen Mann (52) und zwei Frauen (25 und 50) aus der Slowakei.“ (Bericht über einen Unfall in NÖ im KURIER) – Ein mathematisch-anatomisches Rätsel, das hoffentlich fachgerecht behandelt wurde.

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Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.

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