Wann spricht ein Richter frei?

Hausmauer mit Adresstafel Promilleweg
Wolfram Kautzky geht in seiner Kolumne "Wortklauberei" den Wörtern auf den Grund.
Wolfram Kautzky

Wolfram Kautzky

„Brüssel will selbst fahrende Autos“, war kürzlich in der Presse zu lesen. „Jetzt soll die EU Autos bauen, die sie dann auch noch selbst verwendet?“, fragt sich Leser Erich D. Tatsächlich ist diese Formulierung missverständlich. Wäre „selbstfahrend“ zusammengeschrieben, wäre alles klar (Brüssel will Autos, die von selbst fahren). Getrennt geschrieben liegt hingegen der Bezug auf „Brüssel“ nahe (Brüssel selbst will fahrende Autos). Seltsamerweise lässt der Duden bei „selbstfahrend“ beide Schreibweisen zu – was weder selbstredend noch selbstverständlich ist.

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Die Getrennt- bzw. Zusammenschreibung ist eines der kniffligsten Kapitel des Deutschen. Für viele Begriffe gilt eine liberale Regelung, d.h. man kann, aber muss sie nicht zusammenschreiben: alleinerziehend, ernstzunehmend, zeitsparend etc.

Andere Wörter verändern hingegen bei Getrenntschreibung ihre Bedeutung: Es macht einen Unterschied, ob der Richter Sie freispricht oder bei der Verkündung Ihrer einjährigen Haftstrafe, weil rhetorisch talentiert, frei spricht. Auch ist es nicht dasselbe, ob Ihnen das Finanzamt etwas gutschreibt (sehr gut!) oder gut, also ohne Rechtschreibfehler (auch gut!), schreibt. Faustregel: Wird der Begriff nur an einer Stelle betont, schreibt man ihn zusammen (aufeinandertreffen), wird er an zwei Stellen betont, schreibt man getrennt (aufeinander achten).

Ein gutes Beispiel dafür ist das Wort „rechtmäßig“: Ein „rechtmäßiger Thronfolger“ ist etwas anderes als ein „recht mäßiger Thronfolger“. (Dem Wortklauber fällt in diesem Zusammenhang Tiberius, der Nachfolger des beliebten Kaisers Augustus, ein. Dieser fiel, glaubt man den römischen Historikern, in beide Kategorien.) Oder nehmen Sie den „Promilleweg“, den der Wortklauber auf einer Tafel im schönen Kamptal erblickte. Sie brauchen nur die letzte Silbe abzutrennen – und schon handelt es sich nicht um eine Alkoholikerenklave, sondern um eine Ausnüchterungszelle.

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Fundstück der Woche: „Damen und Herrenschuhe“ (Schriftzug auf einer Hausfassade in Sankt Pölten) - Ob in dem dazugehörigen Geschäft tatsächlich Herrenschuhe und Damen käuflich zu erwerben sind, erschließt sich dem interessierten Kunden leider nicht.

Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.

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