Wien muss Santarcangelo werden

Sehr geehrtes Kulturamt!
Ich freue mich, dass Veronica Kaup-Hasler in dieser Woche wieder als Wiener Kulturstadträtin angelobt wurde und wünsche mir von Ihnen die wohlwollende Behandlung meines Antrages: Dass sie sich bis zum Ende ihrer Amtszeit jede einzelne Aufführung/Ausstellung, die sie der Stadt eingebrockt hat, verpflichtend anschauen möge.
Mit lieben Grüßen, M. L.
Sehr geehrter M. L.,
vielen Dank für Ihren Antrag, dessen Eingang (Geschäftszahl 06/2025) wir hiermit bestätigen. Wir glauben, aus Ihrem Schreiben einen leicht zynischen Unterton herauszulesen, der darauf schließen lässt, dass diese Wiederbestellung möglicherweise gegen Ihren Willen erfolgte. Vielleicht irren wir uns aber auch (selbst Kulturämter tun das immer wieder), und Sie wünschen der Dame tatsächlich gute Unterhaltung mit dem großen Kulturangebot der Stadt. Dann bewundern wir Ihre Offenheit und Toleranz.
Sollte Ersteres zutreffen, müssen wir davon ausgehen, dass Sie nicht mit allen Personalentscheidungen, die von ihr bisher getroffen wurden, einverstanden sind. Sei es bei der letzten Intendanz des Volkstheaters (die künftige verspricht wesentlich besser zu werden), sei es bei zwei Bestellungen hintereinander bei den Festwochen, sei es bei der Kunsthalle, beim brut, bei der Positionierung des Foto Arsenal, wo man sich über Frau Kaup-Hasler als zusätzliche Besucherin sicher freuen würde, sei es bei . . . (bitte einsetzen, was immer Sie empört).
Wir müssen die Stadträtin verteidigen, obwohl in der SPÖ Wien noch nie ein Stadtrat Verteidigung nötig hatte: Hinter jeder Wahl steckt garantiert Kalkül, das der Stadt zeigen soll, woran sie schwächelt und dass Menschen geholt werden müssen, die belegen, dass es anderswo besser ist. Der Wiener neigt zu Selbstüberschätzung, da macht es in einer kruden Logik vielleicht Sinn, Kulturtraditionen über Bord zu werfen und im Notfall sogar Leute, die die Stadt kaum kennen, ans Steuer zu lassen. Leider glaubt man in Wien beharrlich, mehr Kulturkompetenz zu haben als etwa in Santarcangelo (nur pars pro toto), wo der künftige brut-Chef wirkt. Alles muss neu und provokant werden, auch auf die Gefahr hin, dass das aus Santarcangelo anreisende Publikum die Abgänge in Wien nicht ganz ersetzen kann.
Zugute halten muss man Frau VKH auch, dass sie sich schon bisher viel selbst anschaute. Welche Schlüsse Sie daraus ziehen mögen, ist Ihnen überlassen, werter M. L.
Ihren Antrag müssen wir jedenfalls ablehnen, das würde kein Mensch aushalten.
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