Wie rollt man den Todesstein?

"ÜberLeben": Komische Erinnerungen an den einzigartigen Architekten und Denker Gustav Peichl.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Vor Kurzem ist der Architekt und Karikaturist Gustav Peichl gestorben, und das bedauere ich sehr, denn Peichl war ein wunderbar scharfsinniger und scharfsichtiger Mensch, etwas, was heute immer seltener hergestellt wird.

Ich bin Peichl drei Mal begegnet. Das erste Mal  hatte er mich zu einem Interview in sein Büro vorgeladen, und zwar um sieben Uhr früh, denn das entsprach seinem Humor. Ich bin ein Nachtmensch, sieben Uhr früh ist für mich eine furchtbare Zeit, so ich sie nicht im Bett verbringen kann. Aber ich schaffte es, um exakt 6 Uhr, 59 Minuten und 57 Sekunden bei Peichl zu läuten. Um 6 Uhr, 59 Minuten und 59 Sekunden schnarrte es aus der Gegensprechanlage: „Sie sind pünktlich. Das ist gut. Ich bin bereit, mit Ihnen zu reden.“

Unser zweites Zusammentreffen fand wieder bei einem Interview statt, und zwar auf der Baustelle eines von Peichls Hochhäusern. Peichl sauste durch die halbfertigen Stockwerke und sprach unablässig, mein Kollege Gert Korentschnig und ich versuchten, mit ihm Schritt und mit dem Diktafon seine Ausführungen fest zu halten. Der Baulärm war enorm, die Tonqualität der Aufnahme daher denkbar schlecht. Eine Kollegin erklärte sich bereit, den Mitschnitt abzutippen. Gerade noch rechtzeitig bemerkten wir, dass in dem fertigen Interview der Satz enthalten war: „Es ist die Aufgabe des Architekten, den Todesstein zu rollen.“ Wir hörten das Band ab, entdeckten den richtigen Satz („... nicht modisch sein zu wollen“) und korrigierten im letzten Moment das Interview – was ich heute fast schade finde.

Als ich Peichl  das letzte Mal traf, es war am Rande einer Podiumsdiskussion zum Thema Satire, wirkte er schon sehr müde, nur seine Augen blitzen wach wie immer. Er nickte mir zu und sagte etwas, ich verstand ihn nicht richtig, denn es war laut im Raum, aber ich glaube, er sagte: „Immer pünktlich sein!“ Zumindest möchte ich das gerne glauben.

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