Was uns nahestand

Über die langbeinigen Blondinen und die Mauerblümchen unter den Gegenden
Barbara Beer

Barbara Beer

Eine Gegend, die einem einmal sehr vertraut war, ist ein bisschen wie ein Mensch, der einem früher nahe stand. Man blickt zurück, mit gemischten Gefühlen, aber gleichgültig wird sie einem nie. Oft genug ist die Erinnerung ein Hund: Man verdrängt, was nicht gut war und idealisiert die Zeit, als man jung war.

Jetzt lese ich davon, dass im Dritten wieder einmal so ein super Lokal aufgemacht hat. In einer Zeitung stand geschrieben, falls man noch kein Stammlokal habe, dann müsse man unbedingt dorthin, besagte Gastwirtschaft würde garantiert ein zweites Zuhause. (Das ist ja bei mir nicht notwendig, wie Sie wissen: Ich bleibe meinem Stammwirten treu, obwohl er neuerdings eine Gschisti-Gschasti-Karte hat, wie der Ober meines Vertrauens zu beanstanden pflegt).

Nun löst dieses neue Lokal ein merkwürdiges Gefühl in mir aus, ebenso wie der seit geraumer Zeit anhaltende Boom des ganzen Grätzels. Ich weiß nicht, ob es Neid ist. Jetzt, wo ich nicht mehr da bin, floriert alles hier? Irgendwie dumm, schließlich bin ich freiwillig weggezogen.

20 Jahre habe ich hier gewohnt, so lange wie an keinem anderen Ort. Hab ich mir erwartet, dass die Gegend um mich trauert? Das wäre ungefähr so, als würde man sich wünschen, dass Menschen, die man einmal gern gehabt hat, nie mehr so glücklich werden, wie sie es mit uns waren.

Und noch eine Gemeinsamkeit haben Menschen und Orte: Wie sie ausschauen, hat nichts damit zu tun, ob sie einem nahe sind. Natürlich gibt es die langbeinigen Blondinen unter den Orten, den Volksgarten zur Zeit der Rosenblüte oder die Stammersdorfer Kellergasse an einem sonnigen Oktobertag: Das sind Orte, auf die sich alle einigen können, sie sind von einer Schönheit, die jeder versteht. Und dann gibt es Gegenden wie die Leopoldauer Straße. Ihre Schönheit ist, sagen wir, schwer zugänglich. Aber es gibt jemanden, der sie liebt. Etwa, weil hier der tägliche Heimweg von der Schule lag. Diese Liebe muss man mit wenigen teilen. Das macht sie besonders.

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