Unterwegs mit Heller und Elfriede

"ÜberLeben": Auf der Suche nach Wien.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Unlängst saß ich in einem Wagen der Badner Bahn, der zu meiner großen Freude „Elfriede“ hieß, und las in André Hellers Buch „Zum Weinen schön, zum Lachen bitter“. Auf Seite 100 fand ich den erstaunlichen Satz: „Zwischen Allerheiligen und Allerseelen liegt Wien.“

Stimmt, dachte ich mir: Wien ist kurz, aber ewig. Dann las ich: „Die vorherrschende Witterung heißt Einsamkeit. Gruppen, ja ganze Aufmärsche werden von ihr befallen.“

Auch das ist richtig:  Nirgends fühlt sich der Wiener so gerne allein wie unter Wienern.  Dann schreibt Heller: „Wiens Selbstvertrauen erinnert an das eines größenwahnsinnigen Dorfes.“ Ja, weil Wien so klein ist, wohnt die Größe gleich neben dem Wahn. „Die Jungen sind alt, und die Alten  noch die Jüngsten.“ In Wien wird man alt geboren und altert sich dann jung, bis man nicht alt, sondern nur älter ist.

Und Heller schreibt: „Wer im Sommer in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht schwitzt, gilt als Schwein.“ Regen ist in Wien eine Zumutung, seine  Abwesenheit eine noch größere. In Wien gilt die Befeuchtung des öffentlichen Raums durch Schweiß als kollektive Pflicht. „Das übrige Jahr ist Herbst. Auch der Frühling ist ein Herbst – für Anfänger.“  Genau so ist es: Das ganze Leben ist hier Vorbereitung aufs Sterben. Beim Tod sind wir zumindest Fortgeschrittene. „Die kostbarste Straße Wiens ist die Simmeringer Hauptstraße. Sie führt direkt in die Erlösung: zum Zentralfriedhof und zum Flughafen Schwechat.“ Bei uns fliegt man mit der Straßenbahnlinie 71 in die Ewigkeit, oder zumindest in die Dominikanische Republik.

Zum Schluss schreibt Heller: „Wien ist eine Niederlage, die sich bis zum lieben Gott hinauf keiner eingestehen will, ich in der Stunde der Wahrheit schon gar nicht.“ Ja, in Wien ist Gott ein Lügner, und die Stunde der Wahrheit liegt zwischen Allerheiligen, 24.00 Uhr, und Allerseelen, 0.00 Uhr.

Ich verließ den Waggon „Elfriede“ erstaunlich vergnügt am Schedifkaplatz.

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