"ÜberLeben": Ohne Stützräder

Radfahren: Ein Test für den Charakter. (Autofahren eh auch.)
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Mein erstes Fahrrad war giftgrün und ich war ungeheuer stolz darauf. Es hatte nur einen Gang, Rücktritt-Bremse und natürlich Stützräder, aber auf die war ich weniger stolz.  Radwege waren damals noch nicht erfunden, also radelte ich auf dem Gehsteig die Parkstraße auf und ab, das schien damals niemanden zu stören. Ich war mobil, und das war ein herrliches Gefühl.

Dann beschloss mein Vater eines Tages, dass es Zeit sei, die Stützräder abzumontieren, und das herrliche Gefühl war vorbei. Das Radfahren wurde zu einem demütigenden Kampf gegen die Schwerkraft, die sich meist als stärker erwies. Irgendwann habe ich es dann doch gelernt und heute kann ich ohne Stützräder fahren, ohne meine Knochen oder meine Würde zu beschädigen.

Ich besitze kein Auto, aber ich verwende das Rad nur als Sportgerät (etwa beim Mountainbiken auf dem Anninger), nicht als Fortbewegungsmittel. Nach fünf Minuten Radfahren bin ich in Schweiß gebadet, und ich möchte zu beruflichen Terminen in einem äußeren Zustand erscheinen, der meinem Gegenüber nicht Ekel oder Mitleid abnötigt. Ich möchte auch nicht unbedingt den hohen Aggressionspegel zwischen Rad- und Autofahrern aus nächster Nähe erleben.

Manche sagen ja, alle Radfahrer sind grundsätzlich rücksichtslose Trottel, während andere meinen, alle Autofahrer sind trottelige Rücksichtslose. Ich glaube ja, es gibt nur zwei Arten von Menschen – die einen sind charakterlich und intellektuell benachteiligt, die anderen nicht. Anders gesagt: Es gibt keine rücksichtslosen Rad- und Autofahrer, sondern nur rücksichtslose Menschen, die sich immer rücksichtslos verhalten, egal, welches Verkehrsmittel sie gerade verwenden. Wenn man den anderen als Menschen sieht – und nicht als Fahrrad oder als Auto – sollte man eigentlich auf der Straße ganz gut miteinander auskommen.

Stützräder für Herz und Hirn sind bis heute leider noch nicht erfunden worden.

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