Liebe Frau S., in solchen Situationen stellt sich tatsächlich oft die Frage, wie weit man als Privatperson gehen darf und ob man sich womöglich selbst strafbar macht, wenn man eingreift. Grundsätzlich ist das Festhalten einer Person durch eine Privatperson rechtlich heikel: Schon eine relativ kurze Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann als Freiheitsentziehung gewertet werden und somit strafbar sein. Es gibt jedoch eine wichtige Ausnahme, nämlich das sogenannte Anhalterecht des § 80 Abs. 2 der Strafprozessordnung.
Dieses Recht erlaubt es Privatpersonen, eine Person vorübergehend festzuhalten, wenn der konkrete Verdacht besteht, dass sie eine gerichtlich strafbare Handlung begeht oder unmittelbar zuvor begangen hat. Entscheidend ist dabei der konkrete und nachvollziehbare Verdacht. Ihr Bauchgefühl allein genügt nicht – wohl aber eine klare Beobachtung wie das gezielte Einstecken unbezahlter Ware. Dass sich Ihr Verdacht als richtig erweist, ist aber nicht erforderlich.
Wichtig ist außerdem: Es muss sich um eine gerichtlich strafbare Tat handeln – also um eine Straftat im eigentlichen Sinn, wie etwa Diebstahl oder Körperverletzung, nicht um eine bloße Verwaltungsübertretung. Bei Parkverstößen, Lärmbelästigung oder anderen Verwaltungsdelikten greift das Anhalterecht somit nicht.
Ebenso entscheidend ist, wie man festhält: Erlaubt ist nur das, was notwendig ist, um die Person am Flüchten zu hindern, zum Beispiel in den Weg stellen oder leicht am Arm halten. Vorsätzliche Gewaltanwendung, wie Schlagen, Stoßen oder Fixieren, ist nicht erlaubt. Kommt es dennoch zu kleineren Verletzungen, etwa durch unabsichtliches Kratzen, ist das rechtlich zulässig, sofern sie nicht absichtlich herbeigeführt wurden und zur Abwehr einer Flucht notwendig waren.
Außerdem gilt: Sobald der Verdacht entkräftet wird, etwa durch Vorzeigen eines Kassenbons, muss die Person unverzüglich freigelassen werden. Das Anhalterecht besteht eben nur so lange, als ein begründeter Verdacht auf eine strafbare Handlung gegeben ist. Wichtig ist außerdem die unverzügliche Verständigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in der Regel der Polizei. Das müssen Sie nicht selbst tun. Es reicht auch, wenn Sie jemanden darum bitten oder mitbekommen, dass die Polizei bereits verständigt wurde.
Das Anhalterecht steht übrigens nicht nur Ladendetektiven oder Verkaufspersonal zu, sondern jeder Privatperson, auch dann, wenn man rein zufällig Zeuge eines Vorfalls wird. Es ist aber kein Freibrief für Selbstjustiz, sondern ein sehr eng begrenztes Notfallinstrument, das mit Umsicht eingesetzt werden muss. Außerdem gilt: Je rascher die Polizei verständigt wird, desto besser – nicht nur rechtlich, sondern auch zu Ihrem eigenen Schutz.
Rechtsanwältin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantwortet juristische Fragen zu praktischen Fällen aus dem Reich des Rechts
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