Liebe Frau L., Ihre Sorge ist verständlich. Abgestorbene Bäume können im Sturm zu erheblichen Gefahren werden und in der Nachbarschaft herrscht oft Unsicherheit, wie mit solchen Situationen umzugehen ist. In § 364 ABGB verpflichtet das sog. Rücksichtnahmegebot alle dazu, ihre Liegenschaften so zu verwenden, dass sie die Nachbarn nicht über das ortsübliche Maß hinaus und in der Benutzung ihres Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine konkrete Gefahr durch umsturzgefährdete Bäume stellt wohl eine solche unzulässige Beeinträchtigung dar. Daher können Sie von Ihren Nachbarn verlangen, Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr zu setzen.
Praktisch bedeutet das: Zunächst sollten Sie das Gespräch suchen und höflich auf die abgestorbenen Bäume und die bestehende Gefährdung hinweisen. In vielen Fällen lässt sich so eine einvernehmliche Lösung finden, ohne dass gleich rechtliche Schritte notwendig sind. Reagiert der Nachbar nicht, könnte ein Beseitigungsanspruch geltend gemacht werden. In besonders dringenden Fällen kann auch eine einstweilige Verfügung beantragt werden, etwa wenn ein Sturm unmittelbar bevorsteht und akute Gefahr besteht. Kommt es tatsächlich zu einem Schaden, etwa, weil ein Baum auf Ihr Grundstück fällt, stellt sich die Frage nach Schadenersatz. Hier greift die allgemeine Verschuldenshaftung nach den §§ 1293 ff ABGB. Entscheidend ist, ob dem Nachbarn ein Verschulden vorgeworfen werden kann, also ob er die Gefahr hätte erkennen und durch geeignete Maßnahmen verhindern müssen. Bei klar erkennbar abgestorbenen Bäumen wird dies in der Regel bejaht werden. Hat der Eigentümer die ihm zumutbare Sorgfalt verletzt, haftet er für daraus entstehende Schäden.
Ergänzend erlaubt § 422 ABGB, dass Sie überhängende Äste oder eindringende Wurzeln vom Nachbargrundstück entfernen dürfen – unabhängig davon, ob von ihnen eine Gefahr ausgeht. Voraussetzung ist lediglich, dass sie sachgemäß entfernt und keine unnötigen Schäden angerichtet werden. Die Kosten müssen Sie als beeinträchtigte Eigentümerin grundsätzlich selbst tragen.
Eine Ausnahme gibt es, wenn vom Überhang eine erkennbare Gefahr ausgeht, etwa wenn abgestorbene Äste jederzeit abbrechen könnten. Dann hat der Nachbar die Entfernungskosten zu übernehmen. Sollte also von den Fichten tatsächlich ein Teil über Ihr Grundstück ragen und eine Gefährdung darstellen, könnten Sie die Äste auch selbst entfernen und Ersatz für den Aufwand verlangen.
Mein Rat: Dokumentieren Sie den Zustand der Bäume sorgfältig – am besten mit Fotos und Beschreibung der Lage. Das kann im Fall einer Auseinandersetzung wichtig werden. Außerdem ist es mit Nachbarn immer ratsam, zuerst ein offenes Gespräch zu suchen, bevor der Rechtsweg beschritten wird.
Rechtsanwältin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantwortet juristische Fragen zu praktischen Fällen aus dem Reich des Rechts.
Kommentare