Ab wann darf das ältere Kind auf das jüngere aufpassen?

Meine Frau und ich arbeiten beide und stehen vor dem Problem, dass wir unsere Kinder im Alter von fünf und neun Jahren in den Ferien nicht durchgehend betreuen können. Meine Frau meint, der Neunjährige könne auf die Kleine aufpassen, ich bin mir aber unsicher, ob das rechtlich in Ordnung ist. Wann verletzt man als Eltern die Aufsichtspflicht?
Daniel R., Klagenfurt
Lieber Herr R.,
vielen Eltern geht es ähnlich: Die Sommerferien sind lang, Kinderbetreuung ist teuer oder schwer zu organisieren und irgendwann stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Die elterliche Aufsichtspflicht ist in Österreich gesetzlich nicht mit starren Altersgrenzen versehen. Sie ergibt sich vielmehr aus der allgemeinen elterlichen Verantwortung (§ 158 ABGB) und richtet sich nach dem Alter, der Reife und der konkreten Situation.
Prinzipiell ist anzumerken, dass sich die Aufsichtspflicht mit dem Alter natürlich verändert. Während Kleinkinder ständige Nähe benötigen, wird älteren Kindern, etwa ab dem Schulalter, zunehmend eigenverantwortliches Verhalten zugetraut. Die Rechtsprechung sieht es deshalb als zulässig an, wenn ein etwa neun Jahre altes Kind für kurze Zeit, etwa ein oder zwei Stunden, allein zu Hause bleibt, sofern keine besonderen Risiken bestehen. Dabei spielen auch die individuelle Reife des Kindes eine Rolle sowie gewisse Fähigkeiten, z. B. Notfallnummern zu wählen. Anders sieht es aber bei Ihrem jüngeren Kind aus. Bei einer Fünfjährigen wird in aller Regel davon ausgegangen, dass sie nicht unbeaufsichtigt bleiben darf. Die Frage, ob Minderjährige selbst als Aufsichtspersonen fungieren dürfen, ist in Österreich nicht bundeseinheitlich geregelt, sondern hängt vom jeweiligen Landesrecht ab. Da Sie aus Kärnten schreiben, ist zu erwähnen, dass das Kärntner Jugendschutzgesetz ausdrücklich eine solche Möglichkeit vorsieht: In Kärnten dürfen Kinder von einem mindestens zwei Jahre älteren schulpflichtigen Minderjährigen vorübergehend beaufsichtigt werden, sofern es sich um eine geeignete Aufsicht handelt und keine besonderen Risiken bestehen. Ihr neunjähriger Sohn wird allerdings keine geeignete Aufsicht für seine 5-jährige Schwester sein. Von einer längeren Betreuung, abgesehen von einem kurzen Aufpassen etwa auf dem Spielplatz, während Sie ein Eis holen, ist daher abzuraten.
Selbst in dieser kurzen Zeit tragen weiterhin Sie die Verantwortung für alles, was passiert. Die Übertragung der Aufsicht an ein minderjähriges Geschwisterkind enthebt Sie nicht von der Pflicht, sicherzustellen, dass keine Gefahr besteht und dass der Neunjährige dieser Aufgabe gewachsen ist. Sollte es zu einem Unfall oder Schaden kommen, würden Gerichte prüfen, ob die Entscheidung, das Kind allein mit der Aufsicht zu betrauen, unter den gegebenen Umständen sorgfältig und verantwortungsvoll war. Dabei spielen unter anderem Alter, Reife, das Verhalten der Kinder im Alltag und die Dauer der elterlichen Abwesenheit eine Rolle. Zusammenfassend ist es wahrscheinlich zulässig, wenn Ihr älteres Kind bei entsprechender Reife und Vorsorge einmal kurz auf seine Schwester aufpasst. Die längere Betreuung eines kleineren Geschwisterkindes ist hingegen nicht einfach auf einen 9-Jährigen übertragbar.
Rechtsanwältin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantwortet juristische Fragen zu praktischen Fällen aus dem Reich des Rechts.
Kommentare