
Polly Adlers Kolumne: Der Fluch der„Postitis” zur Urlaubszeit
Echte Anteilnahme wirkt heute fast pervers – zwischen Urlaubsfotos, Emojis und Lamento verlernen wir, wirklich zuzuhören.
Achtung, jetzt kommt etwas ganz Perverses“, sagte E statt einer Begrüßung am Telefon, „ich will nämlich nichts, gar nichts, sondern nur fragen: Wie geht’s dir so?“ Ich war perplex: ein echter Mensch mit echtem Interesse an seinem Gegenüber.
Ein Old-school-Telefonat, anstelle den üblichen sozialen Interaktionen wie dem Versenden von Mimes, Kinder-, Katzen-, Hunden- und ursuperlangweiligen Urlaubsfotos in Whatsapp-Gruppen, auf die die Gruppenmitglieder die üblichen Gelbgesichter mit Lachtränen/ Herzchen/Kussmündchen absondern. Bitte esst alle schön Poseidon-Platten in griechischen Tavernen oder kauft Wassermelonen auf spanischen Märkten, aber genießt es doch einfach in aller Stille!
Strafverschärfend sind ergänzende Bildzeilen wie „Und ihr so?“ oder „Man gönnt sich ja sonst nichts“. Mit solchem Zuwendungs-Schnickschnack wie E’s Wie-geht’s-dir-Operation kann man ja inzwischen schon überhaupt nicht mehr umgehen.
Ich sagte nur perplex: „Das letzte Mal, dass ich so etwas Perverses erlebt habe, wie deine liebe Frage, war die Begegnung mit einem Hipster-Barista, der nur Kuhmilch im Angebot hatte.“ – „Und jetzt sag doch endlich: Wie läuft es so?“ – „Gut, dass du mich fragst.
Also, ich hatte einen Unfall mit einem türkischen Bus, der mir absichtlich in die Flanke gedonnert ist, mein Golf schrammt am Totalschaden; meine Hüfte ist im Eimer, ich hatsche so, dass Autofahrer mitleidig stehen bleiben, damit ich auch jenseits der Zebrastreifen die Straße in aller Ruhe überqueren kann.
Ich fühle mich also wie 107. Und ich hätte vorgestern einen Krimi abgeben sollen, bei dem mir das Finale furioso noch fehlt, aber wenigstens weiß ich inzwischen, wer der Mörder ist. Aber sonst ist alles dulli.“ Und jetzt bin ich wieder genau dort gelandet, was mich bei anderen Menschen so auf die Palme bringt: das egozentrierte Lamento über die eigenen Befindlichkeiten. „Liebling, entschuldige bitte: Wie geht es dir?“ Und sie, die Göttliche, antwortete: „Frag mich bitte nicht!“
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