Paaradox: Von Teig-Träumen und Realitätschecks

46-59846106
Der Duft von Mürbteig und Vanille soll die Herzen wärmen. Praktisch zeigt sich: Zwischen Wunschbild und Wirklichkeit liegen oft mehrere ungebackene Bleche. Paaradox – Szenen einer Redaktionsehe
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Sie 

In Sachen „Amore geht durch den Magen“ scheint aktuell etwas Sand im Getriebe zu sein. Der Mann gegenüber reagiert auf das Wort „backen“ nämlich so, als hätte ich vorgeschlagen, er müsse es tun. Allein. Unbeaufsichtigt. Innerhalb von Sekunden verwandelt er sich in die personifizierte Fehlermeldung: Diese Funktion wird nicht unterstützt. Kein Wunder: Er spürt offenbar, was gerade in mir brodelt. Ich habe nämlich diese „Zweisamkeit im Advent“-Umfrage gelesen und bin seitdem dezent beleidigt. Dort stand, dass viele Männer in der Vorweihnachtszeit Kekse mitbacken. Seither fantasiere ich davon, ihm Herz-Ausstechformen in die Hand zu drücken und zu säuseln: „Mach mal, Schatz!“ Vermutlich würde er den Amtsarzt rufen.

Zucker-Nebel

Welch Vision: Wir beide im Vanillezucker-Nebel, selig vereint am Backblech. Er, dersonst lieber oberg’scheite Grundsatzreden hält, als eine Semmel aufzuschneiden – dem Teig hingegeben. Für mich wär’s ja lässig: Ein Gerücht besagt, dass kochende Männer wie ein Aphrodisiakum wirken. Das wusste schon Paul Bocuse, der Küchen-Karajan, der jahrzehntelang drei Haushalte samt Hausherrinnen dirigierte. Offenbar reichen Kochlöffel, Nudeltopf und eine intakte Libido, um ein Beziehungsökosystem am Laufen zu halten. Herzkönig hingegen schafft’s nicht einmal, drei Bleche Zimtsterne zu orchestrieren. Also bin ich es, die knetet, formt und Zucker wie eine Tiroler Schneekanone rieseln lässt. Schaut nach viel Arbeit aus, meint er nur, und zieht sich samt seinem Krimi zurück. Vermutlich bin ich schuld. Irgendwann sagte ich einmal den folgenschweren Satz: „Ich mach das, eh klar.“ Ab diesem Moment wurde ich auf Lebenszeit zur Backbeauftragten erklärt. Vielleicht sollte ich es heuer raffinierter anlegen: die Ausstechformen in den Krimi legen, den Teig als Lesezeichen zwischen die Seiten picken. Nichts sagen, nur warten. Vielleicht bricht ja sein geheimes Back-Gen durch und er schaut verzückt – wie ein Serienkiller-Ermittler, der erkennt, dass die entscheidende Spur nicht blutig, sondern buttrig war. Wahrscheinlicher ist allerdings ein: Hm, wann gibt’s endlich was zu naschen? Danach putze eh ich die Küche. Und er bringt den Müll raus. Sein Romantik- Beitrag zum Fest der Liebe.

gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er 

Puh, wo fange ich an? Vielleicht mit meiner – allenfalls provokanten – Wahrnehmung, dass im gesamten Land die Produktionsmenge von Weihnachtskeksen in keiner Relation zum tatsächlich lustvollen Verzehr steht. Mag sein, dass ich ein Sonderling bin, aber ehrlich: So gerne ich zu Beginn der Adventzeit das eine oder andere Kekserl verdrücke, so sehr staubt mir sehr bald das Überangebot an allen Ecken und Enden aus den Ohren. Du immer mit deinem Pragmatismus, ermahnt mich meine Frau verlässlich. Es geht doch um so viel mehr. Und obwohl ich gar nicht frage, worum genau, hebt sie zum feierlichen Stakkato an: Kekse stehen für Tradition, Behaglichkeit, Geborgenheit, für die süßen Seiten des Lebens, den Duft der Vertrautheit, den Geschmack der Kindheit. Und vermutlich ist dieses Glaubensbekenntnis so tief in den Menschen verankert, dass sich ab dem dritten Dezembersonntag angesichts überbordender Keks-Teller niemand zu sagen traut: „Da fliegt mir doch das Blech weg – bitte nicht!“ Also wird weiter gebacken und gebacken und gebacken …

Aus der Trickkiste

Gnä Kuhn ist diesbezüglich keine Ausnahme. Ihr Versuch, mich in adventlichem Überschwang zum Mitbacken zu animieren, ertönt so sicher wie das Christmas-Sedativum von Michael Bublé oder die Frage: Wann besorgst du eigentlich den Baum? In diesem Jahr wühlte sie tief in der Trickkiste, um mir taktisch wohlüberlegt unmittelbar nach einem stimmungsvollen Barça-Sieg en passant zu eröffnen: Heuer habe ich die Familie zum Keksausstechen eingeladen. Das war verdammt listig. Weil sie genau weiß, dass ich im Beisein von Tochter, Sohn, Schwiegertochter und Enkerl unmöglich dem Druck standhalten kann, in der Rolle des faden Zipfs herumzuhängen, der mürber ist als jeder Teig. Und der vor allem darauf verzichten muss (!), einen Monolog über die fragwürdige Korrelation zwischen Zuckerguss und Weltfriede zu halten. Also durfte ich die Erkenntnis gewinnen, dass der Kleinste in der Runde zwar noch keinen Satz sprechen, aber das Keks-Herzerl viel gefühlvoller als ich ausstechen kann. Schon schön. Ich glaube, besinnlicher wird’s nimmer.

michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9 

Kommentare