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Paaradox im Advent: Zwischen Romantik und Realität

Alles Jahre wieder zur „stillsten Zeit des Jahres“: Sie plant Romantik, er plant Fluchtwege – gemeinsam nennen sie es „Advent“. Paaradox – Szenen einer Redaktionsehe

SIE

Auch diesmal wieder dieselbe Idee wie jedes Jahr: „Heuer machen wir’s gaaaanz entspannt.“ Gemeint ist der Advent. Für die meisten Paare kein gemütlicher Countdown, sondern ein Beziehungstriathlon in drei Disziplinen: emotionaler Slalom zwischen Erwartungen (Probier’s mal mit Gemütlichkeit) und der Realität (Puh, muss der Adventkranz wirklich ausschauen wie aus einem Interior-Instagram-Account?). Dazu Sie-&-Er-Sprints durch Einkaufsstraßen, während beide beteuern, „heuer schenken wir uns nix“. Schließlich der jährliche Zucker-Marathon – vor allem beim Mann gegenüber, Motto: Ein Linzeraugerl ist immer noch g’angen. Die Herausforderung in wenigen Worten: zwei Menschen, drei Belastungsfaktoren – und nur ein nervliches Durchhaltevermögen.

Drei Minuten Romantik

Zweisamkeit im Advent heißt außerdem: Einer versucht, romantisch zu sein (ich), der andere versucht, nicht auszurasten (er), und beide versuchen gleichzeitig, mental stark zu bleiben. Die romantischsten drei Minuten im Dezember sind dann jene, in denen wir beim Punschstand gleichzeitig nicht frieren und einem niemand von hinten „Tschuidign, darf i vorbei?“ in die Wirbelsäule säuselt. Kaum ist das geschafft, diskutieren wir darüber, ob der Adventmarkt „früher nicht irgendwie netter“ war – gefolgt von den üblichen Grundsatzfragen. Ich: „Wir nehmen uns heuer wirklich Zeit füreinander.“ Er: Super. Wann? Ich: „Zwischen dem Punsch mit den Bergers, dem Glühwein mit den Müllers und dem Keksebacken mit unserer Tochter.“ Er: Aha. Das ergibt exakt 14 Minuten. Ich: „Ist doch super! Das ist mehr als im letzten Jahr.“ Er: Und was machen wir in der Zeit? Ich: „In die Stille fahren. Aufs Land. Maximal romantisch.“ Er: Schatzi, ich komm ja mit – aber du weißt schon, dass Stille im Advent inzwischen so selten ist wie Parkplätze vor dem 24.? Ich: „Eh. Aber Träumen gehört halt auch zur schönsten Zeit des Jahres.“ Er: Bei mir gehört eher Überleben dazu. Ich: „Weißt was? Wir kombinieren einfach beides.“ Und genau darin liegt das eigentliche Geheimnis des Advents: Man friert gemeinsam. Man flucht gemeinsam. Man isst gemeinsam kaputte Maroni. Und überlebt – wieder einmal – trotzdem.

ER

Was romantisch ist, liegt immer im Auge der Betrachterin. Und die ist diesbezüglich wie die meisten Menschen von einem Kitsch-Selbstverständnis geprägt – Umarmung im Sonnenuntergang, Spaziergang durch den verschneiten Wald, gemeinsame Fröhlichkeit auf dem glitzernden Adventmarkt, das ist es, was die Liebesseele angeblich tief bewegt. Ich habe meinen Widerstand gegen dieses Konstrukt der Verzückung längst aufgegeben. Obwohl mir bis heute niemand beantworten kann, warum das Knistern des Holzes im Kamin das Herz mehr erreichen sein soll als ein entscheidender Treffer von Michael Gregoritsch (meinetwegen mit ein paar Teelichterln). Ich finde den Augenblick der Glückseligkeit, als Österreichs Fußballteam das Tor zur Weltmeisterschaft aufstieß, berührend … und romantisch – na und? Ich führe zu diesem Thema allerdings keine Diskussionen mehr, weil ich nicht im philosophischen Sumpf herumwaten will.

Romantischer Kompromiss 

Und das ist eine Herausforderung, weil ich zur Adventzeit alle Jahre wieder mit einem speziellen Bedürfnis nach Nähe konfrontiert bin. Ist es die frühe Dunkelheit? Die beißende Kälte? Das nahende Weihnachtsfest? Ich weiß nur, dass meine Frau fix irgendwann fragt: So, Grantler, die erste Kerze brennt, wie packen wir es heuer an? Womit sie mein Lamento über viele Termine und wenig Leichtigkeit, volle Straßen und leere Bankomaten, Punsch-Wahn und Kekserl-Inflation im Keim erstickt. Und ihre Wundertüte der tollen Ideen öffnet, um mir zu vermitteln, dass es nur der Blickwinkel ist, auf den es ankommt: Es schön zu haben, ist eine Frage des Wollens. Daher aktivieren alle Sätze, die mit Wir könnten … beginnen, meine Alarmsysteme – „… keine Weihnachtslieder als Hintergrund-Gedudel laufen lassen“ ist jedoch nicht der Input, den sie von mir erwartet. Und mein Vorschlag, dass wir uns beispielsweise am 5. Dezember „gaaaaaanz gemütlich“ bei Glühwein und Vanillekipferln die WM-Auslosung anschauen, war als romantischer Kompromiss nicht einmal ein Augenrollen wert. Und doch ist es am Ende gerade die Diskrepanz, die Zweisamkeit stärkt. Und sei es nur, dass wir über unser Z’sammraufen laut lachen können.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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