Man muss ja nicht alles verstehen

Es war alles wie immer. Nur die Zeit kostete offenbar noch mehr als sonst.
Barbara Beer

Barbara Beer

Versprochen, wir jammern nicht, dass es weiterhin keine Kulturveranstaltungen und Wirtshausbesuche geben wird. Wir dürfen jetzt ins Museum und begnügen uns ansonsten mit Liveübertragungen aus dem weltbesten Wiener Jazzclub Porgy & Bess. Allen, für die es relevant ist, gönnen wir, dass sie morgen zum Gottesdienst dürfen. Man muss ja nicht jedes Detail der Lockerungen verstehen.

Lockdown in dem Sinn hat es ja jetzt nicht gegeben. Die U-Bahn war bummvoll, die Autos sind noch schneller durch die 30er Zonen der Vorstadt gerast, Zeit kostete offenbar noch mehr als sonst. Wir haben weitergearbeitet, manche von daheim, viele vor dort, wo sie immer hinmüssen, etwa in die Fabrikshallen zur Kopf- an Kopfarbeit an die Fließbänder. Der Unterschied war nur, dass alles, was Freude macht, verboten war. Außer Bewegung an der frischen Luft, eh, danke. (Oft haben wir uns im Redaktionskomitee der Wiener Ansichten vorgenommen, über Skifahren in Wien zu schreiben. Zu spät. Der Schnee ist weg. Egal, erzähl’ ich Ihnen halt nächstes Jahr, dass ich auf der Jägerwiese am Hermannskogel Skifahren gelernt habe, und zwar von meiner Mutter, die das selbst am Küniglberg vom Onkel Hans gelernt hatte. Weil sämtliche Zeugen nicht mehr da sind, kann dieser Bericht warten.)

Gesellschaftlicher Höhepunkt ist derzeit der Kaffee zum Mitnehmen beim Anker. Die Bäckerei feiert jetzt 130. Geburtstag, die historische Brotfabrik steht noch, man hat ihren architektonischen Wert erkannt – im Gegensatz zu anderen, zur selben Zeit errichteten architektonisch wertvollen Immobilien, die nun abgerissen werden, um eine „Begegnungsstätte mit Mix aus Shopping, Gastronomie und konsumfreien Zonen“ zu errichten. Wie man so was macht, ohne alles abzureißen, hätte man sich bei der Ankerbrotfabrik abschauen können. Das historische Gebäude wurde zu einer tollen multifunktionalen Kulturimmobilie umgebaut. Nachzulesen bei Markus Kristan und Christian Rapp, die ein Buch über die Fabrik geschrieben haben. Darin ersichtlich: Historisches bewahren und Neues schaffen muss kein Widerspruch sein. Man muss halt wollen.

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