Ich habe jemanden umarmt

"ÜberLeben": Das, was man nicht darf, beginnt man zu vermissen, auch wenn man es vorher nicht wollte.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Unlängst habe ich etwas ungeheuer Verbotenes gemacht: Ich habe jemanden umarmt. Besser gesagt: Ich habe mich von jemandem umarmen lassen. Wir waren beide frisch getestet, dennoch fühlte sich dieser Vorgang an, wie damals in der Oberstufe der erste Joint: illegal, gefährlich, und auf eine romantische Weise rebellisch.

(Und ebenso wie der Joint war die Umarmung dann gar nicht so toll, wie erhofft. Und natürlich sind Drogen und Umarmungen aus gutem Grund ungesetzlich – don’t try this at home, kids!)

Das Interessante ist, dass ich vor der Pandemie nie besonderen Bedarf an Umarmungen hatte. Im Gegenteil: Ich mag Umarmungen nicht sehr, es sei denn, sie kommen von meinen Kindern, meiner Freundin oder meinen Eltern. Ich empfinde Umarmungen als Grenzüberschreitung, ich möchte nicht, dass mir Menschen so nahekommen. Ich war schon immer ein Freund von sozialer Distanz. Aber es ist ein Unterschied, etwas nicht zu wollen oder etwas nicht zu dürfen. Das, was man nicht darf, beginnt man zu vermissen, auch wenn man es vorher nicht wollte.

Was vermissen Sie am meisten? Mir fehlt das Theater, sowohl vom Publikumsbereich, als auch von der Bühne aus gesehen. Essen zu gehen, vermisse ich gar nicht (ich war schon immer der Hamburger- oder Käsekrainer-Typ, ich brauche keine schönen Restaurants). Ich vermisse auch keine Partys. Ich vermisse das Reisen, das Gefühl, irgendwo zu sein. Ich bin ja wo, das ist mir schon klar, aber zu Hause hat man nicht das Gefühl, irgendwo zu sein. Zuhause ist mehr ein Zustand als ein Ort. Ich wäre gerne einmal wieder an einem Ort, also an einem Platz, den ich bewusst wahrnehme.

„Man ist nie zufrieden, dort, wo man ist“, heißt es im „Kleinen Prinzen“. Das stimmt genau, nur finde ich nichts Negatives daran. Die Neugier auf etwas, das anders ist, als das Gewohnte, die macht uns zu Menschen.

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