Essay: Die Endlichkeit klopft an die Türe

Zum Tod der Queen: Das Ende des 20. Jahrhunderts – jetzt bleibt uns nur noch Keith Richards.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Der Sender Vox hatte für Donnerstag Abend zufällig einen James-Bond-Film angesetzt. Der Titel: „Stirb an einem anderen Tag“. Der in diesem Titel ausgedrückte Wunsch wurde nicht erfüllt: Die Queen starb an diesem Tag.  Der Palast verkündete ihr Ableben exakt zur Hauptnachrichtenzeit, und es ist durchaus möglich, dass dies ein professionelles Zugeständnis ans Medienzeitalter war. Die Queen war gleichzeitig eine lebende mythologische Figur und eine öffentliche Person, es passt zu ihr, in Abstimmung mit den Sendezeiten zu sterben.

Damit sind jetzt beide nicht mehr am Leben: die längst dienende englische Monarchin – und ihr treuer geheimer Diener James Bond (der verglühte im bisher letzten Film im Feuer einschlagender Raketen). Ihn wieder zu beleben, das wird den nie um einen kuriosen Einfall verlegenen Drehbuchautoren schon irgendwie gelingen.  Die Queen dagegen wird tot bleiben. Vermutlich.

Erstaunlich traurig

Gestatten Sie Ihrem Autor, der weder Monarchist noch  regelmäßiger Konsument hermelinummantelter Hofberichterstattung  ist, eine persönliche Bemerkung: Ich war verblüfft darüber, wie traurig mich diese Todesnachricht machte. Möglicherweise liegt das daran, dass sie uns an die unvorstellbare Möglichkeit erinnert, dass wir selbst nicht für ein unbegrenztes Dasein gefertigt wurden: Etwas, das immer da war, fehlt – und plötzlich klopft die Endlichkeit an die Türe.

In Zeiten, in denen sich das Leben schneller ändert, als man diese Veränderungen begreifen kann, konnte man immer einen beruhigenden Blick auf die Queen werfen und feststellen: Sie ist noch da und erfüllt das, was die Verfassung ihr als ihre Pflicht auferlegt hat. Es war typisch für sie, dass sie gerade noch lange gelebt hat, um die neue britische Premierministerin zu empfangen.  Vorher hatte sie „keine Zeit, um zu sterben“ (noch ein Bond-Film).

Mehr noch: Die Königin, immer in geschmackvolle Kleidung, originelle Hüte und ein dünnes Lächeln gehüllt,  verkörperte genau diese stoische Haltung, die wir selber gerne hätten, aber oft nicht zusammenbringen. „Keep calm and carry on“, sagen die Engländer. Ruhe bewahren und weitermachen. Die Welt geht möglicherweise gerade unter? Oh, wie unerfreulich. Möchte jemand einen Gin and Tonic?

Ein Mann als Queen?

Dass im Internet aus Anlass ihres Todes nicht nur Trauer und Respekt verbreitet wurden, sondern auch gut temperierte Witze, hätte ihr sicher gefallen. Die beste Pointe: Kann ein Mann eigentlich Queen werden?

Dank der Fernsehserie „The Crown“ – bei der man immer gerne vergaß, dass die Fiktion und keine Doku war, hatten wir die Illusion, der Königsfamilie live beim Leben zuzuschauen. Und konnten feststellen: Die haben es auch nicht immer leicht, und Königin ist genau genommen keine gute Hack’n, seien wir froh, dass uns das erspart bleibt.

Jetzt bleibt uns allen, die wir etwas brauchen, das sich nie verändert, nur noch Keith Richards. Der ist wirklich unsterblich. Vermutlich.

Am 8. September 2022 ging das 20. Jahrhundert zu Ende. Wir haben es lange bewohnt, es war eine unbequeme, aber vertraute Behausung. Ab jetzt ist alles neu.

Kommentare