Da Sie sich in Ihrem Schreiben auf keinen konkreten Fall beziehen, können wir dazu auch nur allgemein Stellung nehmen: ganz allgemein ist es gemein und sogar unerträglich, mit welcher Aggression man heutzutage konfrontiert ist.
Am häufigsten beschweren sich die Menschen in unserem Amt über die mangelnde Kultur im Straßenverkehr. So gibt es in der als freundlich bekannten Wienerstadt zahlreiche Orte, an denen Autolenker, Radfahrer und Fußgänger täglich aneinandergeraten wie wild gewordene Boxer. Angeblich gibt es bereits Wettbüros, wo man viel Geld darauf setzen kann, wer dort wem zuerst eine tuscht. Das müsste man besteuern.
Immer wieder hören wir von Situationen, bei denen ein Autofahrer einen in der Straßenmitte hechelnden KampfLastenradler theatralisch mit quietschenden Reifen überholt, um von jenem bei der nächsten Ampel wieder ausgebremst zu werden. Wer als Fußgänger zu nahe kommt, muss um sein Leben fürchten. Auch im Supermarkt, in Öffis, sogar im Amt geht es heiß her.
Die neue Aggressionspartei
Mittlerweile scheint sich die Gesellschaft nicht mehr nach politischen Kriterien zu teilen, sondern nach den jeweiligen Erregungsgraden (die von politischen Parteien unterschiedlich befeuert werden). Auf der einen Seite jene, die zumindest versuchen, sich aus der Aggressionsspirale herauszunehmen; auf der anderen jene, die auf die nächste Eskalation nur warten und ihre Energie aus Empörung beziehen. Diese neu entstandene Aggro-Partei (AGÖ) wird von sozialen Medien gefüttert, und für jeden Hate-Ausbruch gibt es Likes. Dass Hass mit Liebe belohnt wird, ist sogar für Kommunikationsforscher neu.
Allerdings nützen auch manche Kulturinstitutionen diese Entwicklung gezielt. Die Wiener Festwochen, um nur ein Beispiel zu nennen, leben PR-mäßig gut von der institutionalisierten Empörung. Sie stellen ein paar Plakate oder Produktionen in den öffentlichen Raum oder in ein Theater, erhalten die gewünschte Reaktion und können sich dann fabelhaft über all die anderen Idioten erheben. Ein leicht durchschaubarer Trick, der Kultur emotional in die Nähe von Radwegen rückt. Kunst, die über Gegnerschaft funktioniert, passt also gut in unsere Zeit und befeuert Vorurteile.
Womit wir auf Ihren Antrag zurückkommen, sehr geehrter A. S.: Wer sollte denn entscheiden, wer Deppensteuer zu bezahlen hat? Die jeweils anderen Deppen? Das scheint uns im Zeitalter der Polarisierung, wo jeder auf den anderen zeigt, nicht durchführbar. Daher: Lieber selber bei der Nase nehmen. Und: Antrag abgelehnt.
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