Der seltsame Zwang zum Synonym
Seit einiger Zeit bemerken die Stammgäste an Ober Fritz eine Veränderung. Er redet so seltsam. Wenn jemand eine Melange bestellt, bringt er ein Heißgetränk, ein Spezialtoast heißt neuerdings gefülltes Röstbrot, ein weiches Ei ist ein ovales Schalentier, statt Bier sagt er alkoholisches Erfrischungsgetränk und statt Sachertorte Schokoladenteigware. Möchte man bei Herrn Fritz einen Tisch reservieren, notiert er neuerdings Möbelstück, seine Kellnergeldbörse nennt er Geldtransporter, und den Kugelschreiber, mit dem er die Bestellungen notiert, bezeichnet er als Schreibmaschine.
Was ist los mit Herrn Fritz? Niemand kann sich erklären, warum der Ober auf einmal klingt wie ein wandelndes Synonymwörterbuch. "Vielleicht hat er in der VHS einen Creative-Writing-Kurs belegt", sagt Stammgast Sabine. "Oder er spielt zu viel Scrabble", vermutet ein anderer.
Spielgerät, Wiese, Halbzeit zwei
Am plausibelsten ist die Theorie, die Stammgast Karl vorbringt. "Ich vermute, es hat mit den Sport-Streamingdiensten zu tun, die der Herr Fritz abonniert hat", sagt er. "Die Reporter reden dort alle so, das ist noch viel ärger als beim ORF. Statt Ball sagen sie prinzipiell Spielgerät, der Rasen ist eine Wiese, die Sportler verbringen ihren Tag nicht etwa im Stadion oder auf der Rennstrecke, sondern im Büro, und wer zur zweiten Halbzeit nicht Halbzeit zwei sagt, muss zur Nachschulung."
Ist das Synonym-Syndrom, mit dem sich Ober Fritz infiziert hat, heilbar? "Sofort alle Sport-Abos kündigen!", da sind sich die Mediziner unter den Stammgästen einig. Oder, um es in die neue Sportreportersprache zu übersetzen: Da gibt es keine zwei Meinungen.
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