Frühlingsgefühle im Café (2)

Als er eines Tages ins Café kam und sah, dass sie sich an einen anderen Tisch gesetzt hatte, wusste er: Es ist vorbei.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Das Café ist dieser Tage besonders gut besucht. Manche schauen aus Neugier vorbei, weil sie gelesen haben, dass es hier Romanzen zu sehen gibt, und wissen wollen, wie die Liebesgeschichten im Café weitergehen.

Der Piccolo, dem die Schülerin Miriam heimlich Zettel aufs Tablett ihres kleinen Braunen legte, hat ihr inzwischen zurückgeschrieben. "Hi! Habe bis 18 Uhr Dienst. Wir könnten uns um zehn nach sechs drüben im Park treffen, bei der Tischtennisplatte. Alex." Blöderweise ist der Zettel nie bei Miriam angekommen, weil ein Kollege sich das betreffende Tablett geschnappt und an einen anderen Tisch gebracht hat. Die Frau, die dort saß, hieß nicht Miriam und wunderte sich sehr.

Der Kavalier, der einem weiblichen Stammgast so lange deren Stammplatz freihielt, bis endlich beide an einem Tisch saßen, glaubte sich am Ziel seiner Träume. Man sah die beiden in den kommenden Tagen immer wieder angeregt plaudern. Aber als der Kavalier eines Tages ins Café kam und sah, dass sie sich an einen anderen Tisch gesetzt hatte, wusste er: Es ist vorbei.

Ein Herz und eine Seele

Der Gast, der ohne seine tägliche Neue Zürcher Zeitung unruhig wurde, und die Frau, die ihm seine Lieblingszeitung eines Tages weggeschnappt hatte, sind seither ein Herz und eine Seele. Sie kommen jetzt meist gemeinsam ins Café und lesen zusammen NZZ. Das heißt: Er liest sie – und macht sie auf interessante Artikel aufmerksam. Manchmal liest er ihr auch einen vor. Sie liebt das. Weniger wegen der Artikel, die er ihr vorliest, die interessieren sie oft gar nicht so besonders. Aber in seinen Enthusiasmus hat sie sich verliebt.

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