Beckenrandsitzen verboten!

"ÜberLeben": Das Bad hat seine Stimme verloren.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Erster Tag im Bad. Fast könnte man glauben, es sei alles wie immer. Die fetten Kastanienbäume, die ich schon als Kind so bewundert habe, stehen noch, ebenso die riesigen Föhren, unter denen ich mit 17 mit meiner Freundin gelegen bin, Doors gehört und Memphis Light geraucht habe. Das Wasser ist nach wie vor eiskalt. Es riecht, wie es sich gehört,  nach Pommes frites, Sonnenöl und Chlor. Und auch die beeindruckenden Tätowierungen des Bademeisters sind nicht abgefallen, sondern bleichen in der Sonne vor sich hin.

Aber die alten Damen fehlen. Ich vermisse ihre gebrüllten Gespräche, wer aller seit vorigem Sommer „g’sturm“ ist und woran, um wen es „schod“ ist und um wen weniger.  Das Becken ist mit Bändern abgesperrt, man darf nur durch eine einzige Stiege hinein, und zum ersten Mal in der Geschichte dieses Bades springt niemand vom Beckenrand. Man darf ja nicht einmal am Beckenrand sitzen, was mir absurd vorkommt. Entweder, wir sind in der Lage, Abstand zu halten, dann können wir das auch am Beckenrand. Oder wir sind es nicht, dann wird auch das Beckenrandsitzverbot wenig nützen.

Nach ungefähr einer Stunde komme ich drauf, was mich irritiert: Es ist still. Es fehlt die typische Lärmmischung, bestehend aus dem Kreischen fröhlicher und/oder ertrinkender Kinder, dem kehligen Lachen der Nachmittagstrinker, dem rhythmischen Ächzen dutzender Musikabspielgeräte, dem müden Schimpfen genervter Eltern, den blechernen Lautsprecherdurchsagen, von denen immer nur die Worte „... wird sonst abgeschleppt“ zu verstehen sind.

Die wenigen Menschen, die da sind, verhalten sich ruhig. Es ist, als hätte das Bad seine Stimme verloren, und die Ruhe hat nichts Friedliches an sich, sondern klingt einschüchternd. Ab und zu bläst der Bademeister matten Atems in seine Pfeife, fast so, als würde auch er die Stille nicht ertragen und versuchen, seine Beklemmung wegzupfeifen.

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