Lektion 26: Höflich auf Du und Du
Das Vereinigte Königreich ist ein Land bizarrer Widersprüche. Das beginnt bereits damit, dass es sich gleichzeitig um ein Land und vier Länder (England, Wales, Schottland und Nordirland) handelt. Man assoziiert die Insel mit wuchernden Hecken und sattgrünen Landstrichen, obwohl sie eine der geringsten Walddichten Europas aufweist. Und während jährlich Millionen Touristen das Land unter anderem wegen seiner eindrucksvollen Schlösser aufsuchen, leben viele Briten in Wohnungen, in denen es auch bei geschlossenem Fenster zieht. Doch bei kaum einem Thema zeigt sich ihr Paradox so deutlich wie an ihrem Umgang mit Status.
In einem Land mit aktivem Königshaus überrascht eine Vorliebe fürs Protokoll zunächst natürlich nicht. Schnell gewöhnt man sich (erfreut sich vielleicht sogar) daran, dass royale Pferderennen mit strengem Dresscode, offizielle Termine mit minutiösem Zeitplan und Einladungen ins Königshaus (auf deren Erhalt diese Kolumnistin mit ziemlicher Sicherheit indefinitely wartet) mit Knicksschulung einhergehen.
Sehr geehrte ...
Entsprechend stilvoll möchte man als Zugezogene eMails verfassen. Dear Madam Professor Darwin schreibt man also fürsorglich – und kontrolliert vor dem Abschicken noch drei Mal, ob die maximale Höflichkeitsformel verwendet wurde. Geht das nicht noch ein wenig eleganter? Endlich abgeschickt, kommt die Antwort-eMail überraschend schnell retour: Hi Anna beginnt der Zweizeiler und endet mit Best, Sarah. Trotz Vorliebe für Rang und Protokoll schafft dieses Land mit dem informellen Du eine Nähe, die Hierarchien schmelzen lässt.
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