Lektion 18: Wieso der Frühling sonntags um 16.47 begann

In unserer englischen Vorortegasse hat der Frühling vergangenen Sonntag um 16.47 Uhr begonnen. Nicht, weil der Magnolienbaum seine ersten zögerlichen Knospen zeigte, sondern weil zum ersten Mal wieder der blecherne Jingle zu hören war.
In der warmen Jahreszeit fährt jeden Tag ein weißer Van mit bunten Stickern durchs Grätzel, parkt alle hundert Meter ein und lockt mit seiner durchdringenden, seltsam unheimlichen Melodie die Anrainer aus den Häusern – um ihnen Schleckeis zu verkaufen, das doppelt so viel kostet wie im Supermarkt ums Eck.
Kälteresistent
Soeben (es ist 17.05, er ist heute spät dran) ertönte der Jingle wieder und obwohl es nur sieben Grad hat und Regentropfen drohen, schlendert wenig später ein Paar mit dem hier so begehrten Softeis samt Schokoladestäbchen am Fenster vorbei. Aber natürlich: Würden Engländer auf warmes Sommerwetter warten, könnten sie Eistage in manchen Jahren an einer Hand abzählen.

Vielleicht hat sich deshalb die Tradition entwickelt, dass in Theaterpausen Eis in kleinen Tuben verkauft wird. Selbst wenn die Klimaanlage – wie meist – gut eingestellt ist: Zumindest droht kein Wolkenguss.
Königliches Privileg
Eventuell möchten die Briten auch zeigen, dass sie sich diese Speise weder von Kälte noch Krone verbieten lassen. Als König Charles II. 1671 beim Fest von St George in Windsor das erste Mal dieses neuartige „Cream Ice“ probierte, wurde der Eisblock – gemeinsam mit zwei Kilo roten und vier Kilo weißen Erdbeeren – einzig am Tisch des Monarchen serviert.
Damit die Delikatesse nicht ans Volk geriet, soll König Charles dem Koch sogar ein jährliches Schweigegeld bezahlt haben. Doch schon in den 1680ern flog das Geheimnis auf. Grace Countess Granville schrieb das Rezept auf und verriet auch die Geschmacksrichtung: „Fügen Sie Orangen-Blumen-Wasser hinzu.“
Ein bisschen blieb Charles’ Süßspeise also doch royales Privileg. Orangenblütengeschmack hat der Ice Cream Van nicht.
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