Lektion 12: Was Zugtickets mit britischem Schlangestehen zu tun haben

Lektion 12: Was Zugtickets  mit britischem Schlangestehen zu tun haben
Von einer Österreicherin die auszog. Und den Hürden und den Gipfeln, die sie dabei meistert.
Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

Vergangene Woche beim Schlangestehen im Pub – auch hier übrigens kein Vordrängen – poppt eine Benachrichtigung am Handy auf: „Ihr Zug für 19.05 ist pünktlich.“ Vor Schreck fällt mir fast das Telefon aus der Hand. Hastig wird zur Zug-App gescrollt. Und dort bewahrheitet sich das Dilemma: Das Zugticket, das für den nächsten Tag gedacht war, wurde versehentlich für diesen Tag gebucht. Nun könnte man denken: Na und? Aber dann lebt man wahrscheinlich nicht in Großbritannien. Das britische Zugsystem ist – wie fast alles in diesem Land – privatisiert. Was macht Privatisierung? Im Fall der South West Railway absurde Preisschwankungen.

Es rechnet sich nicht

Beispiel: Die Fahrt von meiner Speckgürtelstation ins Londoner Stadtzentrum kann, wenn im Voraus gebucht, 25 Euro kosten, oder, tags zuvor, 85 Euro.

Mitunter kann die etwas entferntere Zugstation beim Flughafen um 5 Pfund erschwinglicher sein, dafür kostet dort der Tagesparkplatz nicht 10, sondern 20 Euro. Es ist günstiger, wenn man eine konkrete Uhrzeit weiß, dafür muss man aber wissen, wann das jeweilige Event endet. (Im Fall des Wassers verursacht Privatisierung übrigens E.-coli-Erkrankungen für Wassersportler durch Fäkalien; im Fall der Post falsche Beschuldigungen der selbstständigen Filialleiter, die Hunderten unberechtigte Gefängnisstrafen einbrachten.)

Der einzige Vorteil in einem Land, in dem das System gegen den Einzelnen ist: Die Gemeinschaft ist umso stärker. Ist man doch einmal früher am Bahnhof, lässt einen der Schaffner – vor allem, wenn man lieb fragt – meist den früheren Zug nehmen. Als die sich noch jugendlich wähnenden Eltern zu Besuch kamen, wurde ihnen am Ticketschalter ungefragt der Pensionistenrabatt angeboten. Vielleicht lässt sich so auch das geduldige Schlangestehen der Briten erklären. Wer ständig mit der Bürokratie zu kämpfen hat, mag sich nicht auch noch mit den Mitmenschen anlegen.

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