Sindbad: Studierte unterstützen Lernhungrige auf ihren Bildungswegen

Sindbad: Studierte unterstützen Lernhungrige auf ihren Bildungswegen
Mentoring-Projekt „Sindbad“ gibt’s nun auch in mehreren Bundesländern und für Lehrlinge. KiKu-Interviews mit drei Tandems.

„Englisch war schon immer mein Lieblingsfach“, erzählt die 15-jährige Negina Azimi aus Linz dem Kinder-KURIER. Mathe ist es mittlerweile auch geworden, das sei früher nicht so gewesen, setzt die Jugendliche fort, die ab dem kommenden Schuljahr die Handelsakademie Rudigierstraße besuchen will. „Meine Schwester geht dort in die Handelsschule“, so die Mittelschülerin, die später auch studieren will.

Ihr die Uni und den Betrieb dort zeigen zu können, darauf freut sich Elisabeth Ulbrich (32), die in Wien Wirtschaft und Geschichte studiert hat und nun an der Linzer Johannes-Kepler-Uni (JKU) am Institute of Technology den Co-Working-Space betreut, wo sich Wissenschaft und Wirtschaft austauschen können sollen.

Bildungs-Tandems

Die beiden haben einander über „Sindbad“ kennengelernt. Dieses Startup im Bereich Social Business, bringt Jugendliche, die bildungshungrig sind, aber nicht die einfachsten Startbedingungen haben mit jungen Erwachsenen, die schon eine Bildungskarriere durchlaufen haben, zusammen. In Tandems, die in der Regel ein Jahr laufen, helfen Letztere den Jugendlichen, den eigenen (Aus-)Bildungs-Weg zu finden, Hürden zu überwinden und mitunter bei Rückschlägen, weiter zu motivieren.

„Sindbad“ nennt sich das Social-Business-Startup, das Duos zusammenspannt – solche, die in ihrer (Aus-) Bildung suchen, wo’s langgehen könnte und andere, die schon einiges an Bildung genossen haben und so Ersteren als begleitende Wegweiser_innen helfen können.

Das Projekt gibt es in Wien seit 2016, NÖ folgte zwei Jahre später, Graz startete dann 2019 und die jüngsten Sindbad-Teams gibt es in Linz und Innsbruck – seit November 2020.

Seit 2016 sind 790 Mentoringteams bei Sindbad gestartet, in Oberösterreich gibt es 12 Mentoring-Teams, in Niederösterreich gab/gibt es mittlerweile 51 Teams.

sindbad.co.at

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Negina Azimi aus Linz

Von Herat nach Linz

Zurück zum eingangs genannten Duo aus Oberösterreich, wo Sindbad wie in Tirol erst seit kurzem aktiv ist, während das Programm in Wien, Niederösterreich und der Steiermark schon seit ein bis vier Jahren (Wien) läuft: Negina und ihre Schwester kamen vor vier Jahren und ein paar Monaten aus dem afghanischen Herat nach Linz zu ihrer Mutter, die damals schon zwei Jahre in Österreich war. Dass Deutsch seither eine neue Sprache für Negina wurde, ist übrigens beim Telefon-Interview nicht zu hören.

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Negina und Elisabeth bei einer der virtuellen Begegnungen

Vorläufig nur digitale Begegnung

Obwohl die bisherigen Treffen corona-bedingt nur digital – meist via WhatsApp-Video-Chats – stattfinden konnten, „haben wir uns gleich gut verstanden“, so Negina. „Aber wir haben ausgemacht, dass wir uns nach dem jetzigen Lockdown endlich mal hier heraußen auf dem Campus der JKU treffen und dass ich Negina alles hier zeigen kann, darauf freu ich mich schon sehr, weil mir Bildung immer schon ein großes Anliegen war uns ist“, so Mentorin Elisabeth.

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Julia Kern bei der Arbeit

Lehre

Beziehen sich die meisten Sindbad-Tandems bisher auf weiterführende Schulen, so stehen seit Monaten besonders Lehrlinge im Fokus des Mentoring-Programms. Seit Corona hat sich der Mangel an Lehrstellen stark erhöht. Dazu gesellt sich (noch immer) ignorantes Verhalten von Unternehmen.

Weil sie ein Mädchen ist ;(

So musste die 16-jährige Julia Kern nicht nur viele Absagen auf ihre Bewerbungen um eine Lehrstelle als Mechatronikerin hinnehmen. „Eine Firma hat mir gesagt, sie nehmen mich nicht, weil ich ein Mädchen bin“, berichtet sie dem Kinder-KURIER.

Schon immer an Technik interessiert

Dabei wollte die Wienerin schon im Kindergarten KFZ-Mechanikerin werden. „Das hab ich durch meine Tante und meinen Onkel, die eine Werkstatt haben, gekannt. Ich hab dann später mit meinem Vater immer viel repariert. Technik ist immer mein’s gewesen. Im Büro sitzen kann ich mir gar nicht vorstellen.“

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Nadine und Julia - die Schrift im Hintergrund war nicht bewusst gewählt, sondern zufällig da ;)

Mechatronik

Im Poly hat die Jugendliche dann erfahren, dass es den Beruf und die Lehre Mechatronik – eine Mischung aus Metallbearbeitung, Programmieren und Automatisierungstechnik – gibt. Da fing sie Feuer und bewarb sich für derartige Lehrstellen, auch wenn wegen Corona nicht allzu viele ausgeschrieben waren. Im Poly erfuhr Julia Kern auch vom Programm Sindbad. Nadine Sampl wurde ihre Mentorin. „Sie hat mir immer gut zugeredet und mich motiviert, trotz vieler Absagen, nicht aufzugeben. Jetzt bin ich in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte, aber ich will natürlich in den ersten Arbeitsmarkt.“

Mut zusprechen

Die Mentorin, die berufsbegleitend zu ihrem Job für einen internationalen Baustoffhersteller studiert, erinnert sich: „Julia war beim Sindbad-Speed-Dating meine erste Wahl“ und sie war von Anfang an begeistert von der Jugendlichen. „Sie hat genau gewusst, wo sie hin will. Beim ersten Treffen sind wir dann gemeinsam die Bewerbungsunterlagen durchgegangen, ich hab ihr ein paar Jobportale gezeigt. Aber auch sie auf die harte Wahrheit vorbereitet. Bei den zahlreichen Absagen ist es vor allem notwendig und gut, dass wer zuhört, erklärt, dass es nicht an ihr liegt, nicht ihr Fehler ist, sondern einer der Unternehmen, die sie nicht nehmen. Und es geht darum, Mut zuzusprechen und trotzdem dran zu bleiben an weiteren Bewerbungen, auch wenn derzeit nicht viele solcher Lehrstellen ausgeschrieben sind.“

Um beim Segeln weiter zu kommen braucht’s Wind - und Zusammenarbeit. Von „Wind des Sindh“ (vom Fluss Indus) leitet sich der Name Sindbad (Sindibād oder Sandbād) ab. Und der steht für eine der Geschichten aus der Märchensammlung „1000 und eine Nacht“, deren Erzählungen Scheherazade das Überleben sicherten. Wobei es in der Erzählung neben dem Seefahrer Sindbad auch einen Lastenträger gleichen Namens gibt, den Ersterer zu sich einlädt – um einen Zuhörer für seine Reiseabenteuer zu haben.

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Hier klappt Marcel Utz das große Display weg, um an den dahinterliegenden Computer zu kommen...

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...von einem Einsatzort zum nächsten ...

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... und übergibt hierein Smartphone, das er (neu) aufgesetzt hat

Ähnliche Wege

Beim dritten Sindbad-Tandem, das hier im Kinder-KURIER zu Wort kommt, kreuzen sich die Wege vielfach - unsichtbar. Sowohl der 19-jährige Lehrling Marcel Utz als auch sein 31-jähriger Mentor mit abgeschlossener Lehre und Studium, Boris Vlaisavljević, haben die HTL Wr. Neustadt abgebrochen. Der Mentor hatte selbst noch Lehrer, die auch seinen Mentee unterrichtet haben.

Für beide hat’s zum jeweiligen Zeitpunkt „einfach nicht gepasst“. Marcel Utz hat nun seit September eine Lehrstelle als Betriebstechniker im niederösterreichischen Schwechat, „wegen Corona konnte ich dann aber erst im Oktober zu arbeiten beginnen, mit der Berufsschule fange ich erst im kommenden Herbst an“, berichtet er dem Kinder-KURIER.

Die Lehre und sein Arbeitsplatz „entsprechen genau dem, was ich mir vorgestellt habe und es gefällt mir sehr, mit Hardware zu arbeiten, Dinge zu reparieren und Support zu geben“.

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Boris und Marcel

Feedback für Bewerbungen

Der Mentor habe ihm vor allem geholfen, „zu finden, was ich suche und bei den Bewerbungen. Wir haben einige Bewerbungsinterviews durchgespielt und er hat mir nützliches Feedback gegeben. Dadurch bin ich selbstbewusster geworden, wurde weniger nervös und hab klarer gesprochen.“

Klar zu sprechen gehört für Mentor Boris Vlaisavljević praktisch zu seiner heutigen Job-Description. Nach der Absolvierung seiner Lehre als IT-Techniker, mit der er nach dem Aussteigen aus der HTL startete, studierte er zunächst Informationstechnologie an der Fachhochschule Technikum in Wien, begann als Business Consultant zu arbeiten und hängte begleitend noch ein Studium in Business Administration an. Er versteht sich als Übersetzer zwischen den fachliche fundierten IT-Leuten und den Menschen im Management – beide Gruppen sprechen eine jeweils andere für die Seite gegenüber nicht immer verständliche Sprache.

Mit seinem Mentee fand er, nicht zuletzt durch ähnliche Erfahrungen in der Jugend eine gemeinsame Sprache. „Schon im ersten Gespräch war klar, Marcel kennt sich fachlich sehr gut aus. Wo es Verbesserungsbedarf gab, waren Soft Skills. Wir sind dann gemeinsam Bewerbungsunterlagen durchgegangen, haben Vorlagen erstellt, die auch leicht und gut abgewandelt werden können. Vor allem haben wir Bewerbungsgespräche geübt und durchgespielt.“

Dem Mentor gelang es sogar, seinen Chef dazu zu bewegen, ein solches Bewerbungs-Interview mit Marcel Utz durchzuspielen – mit dem entsprechenden Feedback von beiden – mit Auswirkungen auf Veränderungen der Ausdrucksweise und der Körpersprache.

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