Gipshände, Tapeten, Stoff und Videos

Jugendliche verbanden in 30 Projekten zu 100 Jahre Republik Österreich Geschichte und Kunst.

Zwei Gips-Hände halten einander fest. Auf den Fingern der einen finden sich die bekannten Symbole der großen Weltreligionen, auf der anderen Hand jene für Frau, Mann und das schön langsam anerkannte dritte Geschlecht Intersexueller zu einem gemeinsamen vereinigt. Diese kleine Skulptur steht – noch bis Freitag (14. Dezember) im kleinen Vermittlungsraum der „Kammer“ wie kritische Gäste das Haus der Geschichte ob seiner Kleinheit und Beengtheit nennen.

Die „handliche“ Skulptur wurde von Schüler_innen des Wiener Gymnasiums Fichtnergasse angefertigt. Sie war Teil des Projekts „Sagen Sie, haben Sie nix Besseres zu tun?“, das die Jugendlichen der 6B gemeinsam mit dem MuMoK (Museum Moderner Kunst, Wien) durchführten. Die Schüler_innen setzten sich mit Faschismus, Krieg sowie deren Darstellung in Bildern und in Architektur auseinander und begaben sich auf zeitgeschichtliche Spurensuche in der Schulumgebung. In kleineren Gruppen entstanden in der Folge mehrere Arbeiten, die Genannte ist ausgestellt. Für alle war leider nicht Platz.

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Verbindende Hände

Forschendes Lernen als Kombination von Kunst und Geschichte

Gleiches gilt für die Ergebnisse der anderen 29 Projekte aus Schulen und Ausbildungsplätzen in ganz Österreich. „Geschichte gemeinsam verhandeln. Jugendliche befragen 100 Jahre Republik Österreich“ war das Motto dieser Projektarbeiten, bei denen Kunst und Geschichte Hand in Hand gingen. Schüler_innen betätigten sich als junge Geschichtsforscher_innen – verschiedener Epochen dieser 100 Jahre UND arbeiteten daran, Erkenntnisse künstlerisch umzusetzen. Von der Republikgründung selbst über die 20er Jahre, Faschismus und Krieg bis zur Ära der Zeit von Protest und Aufbruch in den 70er Jahren spannte sich der Bogen ebenso wie von Zeichnungen, Bildern, Skulpturen, Stoffliches, Videos im künstlerischen Bereich.

Hochglanz-Tapete mit Protestfiguren in Kinderbuchmanier

Aufgrund der schon angesprochenen Raumknappheit des neuen Geschichtshauses – und weil der Großteil des knappen Budgets das für „Geschichte gemeinsam verhandeln“ zur Verfügung stand in die konkreten Projekte fließen sollte - konnten nur drei Projektgruppen eingeladen und von jedem Projekt nur ein Objekt ausgestellt werden. Selbstverständlich konnten Beteiligte aus den Wiener Projekten dazustoßen. Und manches konnte nicht so viel Raum einnehmen, wie Jugendliche und Kunstinstitution es gern gehabt hätten. So konnte die von den beiden Salzburger HTL-Schülerinnen Julia Mühlbauer und Viktoria Ramsauer mit Comiczeichnungen in der Art von Kinderbuchillustrationen bedruckte lange Tapetenbahn nur kurz fürs KiKu-Foto ausgerollt werden. Die Tapete ist Teil von „Nanu statt Tabu?!“. Die 34 Jugendlichen dieser Klasse für Grafik und Kommunikationsdesign forschten über die 70er Jahre.

„Wir haben uns für diese Illustrationsform entschieden, weil wir was wollten, das wie paradox im Widerspruch steht zu den Inhalten wie Protest der Studierenden, Auseinandersetzung mit Belästigung von Frauen, Kampf gegen das Abtreibungsverbot...“ Als die beiden nach ersten Skizzen die entsprechenden bunten Figuren fertig hatten, entschieden sie – gemeinsam mit der Kunstvermittlung aus dem Museum der Moderne Salzburg - diese auf eine lange Tapetenbahn drucken zu lassen, „weil Tapeten in der Zeit gerade in waren“. Und die Hochglanzversion war ein Tipp des Museums, „weil das so imperial wirkt und das Haus der Geschichte ja Teil der Hofburg ist.“

 

Rollentausch

Jan Calix und Benedikt Wienerroither erläutern dem Kinder-KURIER ihre Arbeit zu Rollenklischees von Frauen und Männer, die in den 70er Jahren (wieder) heftig diskutiert wurden. „Wir haben kurze Animationen erstellt, bei denen damals noch übliche Rollenbilder einfach umgedreht wurden: Männer zu Hause, die Kinder betreuen und kochen und Frauen in der Arbeit... Auch wenn sich nach den Diskussionen von damals bis heute schon viel geändert hat, fällt das so überspitzt dann doch auch heute noch viel stärker auf wie überholt diese Klischees sind.“

Auf einem Tablet zeigt Anna Duong ihre Arbeit 180 Grad. Sie stellte Bilder und Losungen – als Wellpappe-Schilder mit Acryl-Aufschriften – eben um einen Halbkreis gedreht gegenüber. Ihr Thema war der Bereich LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie Transgender). Auch die Schrift auf dieser Seite steht in einen Hälfte Kopf. „Damals konnten viele dieser menschen noch nicht sie selbst sein, begannen dafür zu kämpfen.“ Die Tafeln müssen gehalten werden, sind sozusagen wackelig. „Im Heute stehen die fest verankert im Boden. Die Leute werden mehr toleriert, auch wenn noch immer nicht alles ganz passt.“

 

Hier ist nun doch die Rede!

Bleiben wir noch bei dieser Salzburger Schule, die als eines von drei Projekten zum Präsentationsabend eingeladen worden war, um rund um das eine Objekt, für das Platz war, Interessierten Fragen zu beantworten. Enttäuscht zeigten sich die Jugendlichen trotzdem, dass nur eines ihrer 14 Projekte ausgestellt ist und auch darüber, „dass niemand von den Schülerinnen und Schülern zu Wort gekommen ist bei der Eröffnung“. Das sei auch niemals ausgemacht gewesen, heißt es von Seiten der Veranstaltungs-Organisation.

Der KiKu griff das auf, und spontan hielten die beiden ihre Rede dann in der Ausstellung und verschafften sich Gehör. Das Video – nicht ganz fünf Minuten - ist nun hier zu sehen.

 

100 Jahre Frauenwahlrecht

Aus Vorarlberg angereist waren Joana Holzmann und Maja Hagspiel von der Neuen Mittelschule Alberschwende mit ihrer Lehrerin Annette Fruhmann und der Kulturvermittlerin im Frauenmuseum Hittisau, Ronja Svaneborg. Sie befassten sich mit 100 Jahre Frauenwahlrecht. „Das war Teil von einem zweijährigen Demokratieprojekt“, erzählen die beiden Schülerinnen, „da haben wir auch schon Theater gemacht und Workshops und wir haben Klassen- und Schulsprecherinnen und -sprecher mit Wahlurne und so gewählt wie bei großen Wahlen. Zum Frauenwahlrecht waren nur die Mädchen dabei, die Buben haben da was anderes gemacht (ein Lifthäuschen umgebaut). Wir haben dann zu Frauen, Wahlrecht und Mitbestimmung eigene Plakate gestaltet, die wir im Ort aufgehängt haben, so dass sie viele Leute sehen.“

 

Architektur-Pionierin

Mit einer (noch immer) viel zu wenig bekannten starken Frau beschäftigte sich die 8a des Gymnasiums am Wiener Jodok-Fink-Platz, mit der Architektur-Pionierin Margarete Schütte-Lihotzky – gemeinsam mit dem nach ihr benannten Kulturraum. Bing Wu und Stanislaus Ruhaltinger erzählen dem KiKu, „dass wir vorher nicht viel mehr über sie wussten wie den Begriff der Frankfurter Küche. Die haben wir dann auch in einer Ausstellung angeschaut und ausprobieren können, wie gut durchdacht die war. Aber dass sie überhaupt eine der ersten Architektinnen in Österreich war, sich stark für die Emanzipation von Frauen eingesetzt hat, dass sie im Nationalsozialismus Widerstand geleistet hat und vieles mehr, das haben wir erst im Projekt erfahren.“ Die beiden, die mit Leonie Spitzer, Kulturvermittlerin im Architekturzentrum Wien sowie im Schütte-Lihotzky-Raum zur Ausstellungseröffnung gekommen waren, schildern auch noch von einem Performance-Workshop mit dem Volkstheater, den die Klasse gemacht hat.

Lehrlinge und „Heimat machen“

Unter den 30 Projekten sind auch sechs, die in Berufsschulen bzw. Einrichtungen zur überbetrieblichen Lehrlingsausbildung entstanden sind. Aus dem Technologiezentrum von Jugend am Werk kamen zum Eröffnungsabend fünf Damenbekleidungsgestalterinnen, um ein bisschen über die Teile für das zusammen-gepuzzlete Ausstellungsstück und die Gedanken dahinter darzulegen, nachdem der Kinder-KURIER sie befragte. Sie hatten mit dem Volkskundemuseum Wien zusammengearbeitet und dort die Ausstellung „heimat: machen“ besucht. „Dann haben wir uns überlegt, was für uns Heimat ist“, beginnen sie zu erzählen.

„Zu Heimat sind mir als erstes Berge eingefallen, drum hab ich bei meinem Stoff Bögen gestaltet, die an Berge erinnern“, schildert Serife Kizilirmak. Nicole Stöffler „fallen bei Heimat als erstes Pusteblumen ein, eine solche hab ich gezeichnet und auf eine Dirndlschürze gedruckt“. Blumen – neben Familie – stehen auch für Marziyeh Tavakoli für Heimat, „um Blumen musst du dich immer kümmern, wie bei der Familie und das ist für mich Heimat.“ Chilli verbindet Julia Weigel mit Heimat und schickt auf den vielleicht fragenden Blick nach: „Ich hab zwei Jahre in Thailand gelebt und immer scharf gegessen.“ Und ein Chilli-Muster ist auch deutlich auf einem der Stoffteile in der Ausstellung zu sehen.

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Auf den Spuren zu wenig bekannter Zeitgeschichte...

Schon gegen Ende Oktober begleiteten Kinder-KURIER und SchauTV ein Geschichtsprojekt des höheren Schulzentrums Ybbs (NÖ) zu ihren Rechercheorten in melk und Erlauf – gemeinsam mit dem Verein MERKwürdig Melk und dem Museum Erlauf erinnert.

 

Hintergrund

Die beschriebenen Projekte Jugendlicher waren Teil von „Geschichte gemeinsam verhandeln. Jugendliche befragen 100 Jahre Republik Österreich". Unter diesem Titel fanden 30 Projekte in ganz Österreich statt. Schüler_innen erarbeitet)n in Ausstellungs- und Erinnerungsorten, gebauter Umwelt, öffentlichem oder virtuellem Raum, in ihrer Umgebung individuelle Zugänge zu historischen Ereignissen in dem Jahrhundert zwischen Republik-Gründung/Ende des 1. Weltkrieges und heute.

Dabei wurden/werden sie in partizipativen Prozessen von Kulturschaffenden unterstützt. Forschendes Lernen, kulturpädagogische Praxis und künstlerische Strategien sind große Bögen entlang denen sie gearbeitet haben. Die Präsentation der Projekte (initiiert vom Bundeskanzleramt, betreut und organisiert von KulturKontakt Austria) fand am 12. Dezember im Haus der Geschichte Österreich statt. Bis zum 14.Dezember wird es im kleinen Vermittlungsraum des HDGÖ eine Ausstellung der Projekte geben.

kulturkontakt.or.at

Haus der Geschichte

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