Diskussion um Babypille: Erhöht sie wirklich das Suizidrisiko?

Pille
Auf Beipackzetteln steht ein Warnhinweis. Doch deutsche Gynäkologen bezweifeln, dass die Pille zu mehr Selbstmorden führt.

Wer zukünftig eine Antibabypille kauft, bekommt sogleich eine Warnung dazu: Kontrazeptiva können zu Selbstmord oder - wie Mediziner sagen - zu suizidalem Verhalten führen.  Hintergrund: Die Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) verpflichtet die Hersteller zu diesem Hinweis, nachdem dänische Studien einen Zusammenhang zwischen hormoneller Verhütung und Suizid gefunden hat.

Doch gibt es diesen Zusammenhang wirklich? Deutsche Frauenärzte haben da so ihre Zweifel, weshalb der Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. (BVF) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) vereint im German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG) die dänische Studien als "wertlos" bezeichnen. Begründung: „Diese Studien haben erhebliche methodische Fehler."

Woran stoßen sich die Mediziner?

Kritisiert wurde z.B., dass Vergleiche gemacht wurden, die nicht zulässig sind: Frauen, die sich die Pille verschreiben lassen, gehen automatisch zum Arzt, wobei weitere Diagnosen gestellt werden - angefangen vom Bluthochdruck bis zur Depression. Die Frauen in der Vergleichsgruppe gingen hingegen seltener zu einem Mediziner, weshalb Erkrankungen bei ihnen später oder gar nicht diagnostiziert werden.

Höhere Hormondosis führt nicht zu mehr Depressionen

Weiterer Kritikpunkt: Wenn die Einwirkung der Hormone aus den Verhütungsmitteln eine depressive Symptomatik verstärken würde, dann müssten bei Mädchen und Frauen, die Arzneimittel mit einer höheren Dosierung erhalten, häufiger Depressionen zu sehen sein. Das ist nicht der Fall. Die Verordnung von Antidepressiva ist völlig unabhängig von der Hormondosis, die in den Verhütungsmitteln verwendet wurde.

Zudem haben unterschiedliche Östrogene und Gestagene auf die Psyche sehr unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Wirkungen. Was das Selbstmordrisiko angeht, so wäre zu erwarten, dass Verhütungsmittel, von denen ein stärkerer Einfluss auf die Stimmung bekannt ist, zu einem höheren Suizidrisiko führen. Das ist nicht der Fall. Die Erhöhung des der Selbstmordgefahr ist unabhängig davon, welche Hormondosierungen, welche Östrogen- und Gestagentypen verwendet wurden.

Alle diese Faktoren sprechen dafür, dass es sich lediglich um einen zeitlichen Zusammenhang zwischen hormoneller Verhütung, Verordnung von Antidepressiva bzw. Suizidalität handelt, dass aber keine ursächlichen Zusammenhänge bestehen.

Liebe und Eifersucht können krank machen

Die Ärzte geben außerdem zu bedenken, dass zu sexueller Aktivität Leidenschaft, Verliebtheit und Liebe gehören, aber auch Kränkung, Verlassenwerden, Eifersucht, Gewalt und Konflikte mit den Erziehungsberechtigten. Der Beginn der sexuell aktiven Zeit ist als wesentlicher Auslöser für depressive Episoden bekannt.  Beide Studien ignorieren, dass die Verwendung hormoneller Verhütungsmittel einen grundlegenden biographischen Einschnitt für junge Mädchen und Frauen darstellt und vielfach den Beginn eines konfliktreichen Lebensabschnitts markiert.

Weiters geben die deutschen Gynäkologen zu bedenken, dass bei Jugendlichen, die einen Suizidversuch unternehmen, fast immer eine Krisensituation vorausgegangen ist. Häufig werden Trennungen der Eltern, Drogen- und Alkoholkonsum, Gewalt und sexueller Missbrauch als auslösendes Ereignis angegeben. Die dänische Studie aus dem Jahr 2017 ist nicht in der Lage, zwischen Krisensituationen im Zusammenhang mit Partnerschaften und sexueller Aktivität einerseits und hormoneller Verhütung andererseits zu unterscheiden.

Kein logisch zwingender Zusammenhang

Fazit der Gynäkologen: „Die Zahlen aus den beiden dänischen Studien beschreiben einen zeitlichen Zusammenhang, aber mehr auch nicht“, erläutert Dr. med. Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. „Um die Frage zu beantworten, ob ein Arzneimittel bestimmte Nebenwirkungen hervorruft, und um dabei zufällige Zusammenhänge auszuschließen, muss man aufwendige, am besten doppelblinde Studien durchführen, bei der weder Arzt noch Studienteilnehmer wissen, ob sie ein Plazebo oder das Arzneimittel bekommen“, erläutert Prof. Dr. med. Anton Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

In solchen Studien, die es auch für hormonelle Verhütungsmittel durchaus gibt, wurden bisher widersprüchliche Ergebnisse gefunden, sowohl positive als auch negative Veränderungen. Es konnte aber auch gezeigt werden, dass sich vor allem Frauen, bei denen bereits vor der Behandlung eine depressive Verstimmung oder ein starkes prämenstruelles Syndrom vorhanden war, die psychischen Symptome verstärken konnten – andererseits aber kann eine geeignete hormonelle Verhütung bei schwerem prämenstruellem Dysphorie-Syndrom auch hilfreich sein.

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