Adipositas: Wirkstoff zum Einnehmen ahmt Magenbypass nach

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Ein neuartiges orales Medikament, das die Wirkung einer Magenbypass-Operation nachahmt, zeigt in ersten Studien vielversprechende Ergebnisse zur sicheren Gewichtsreduktion und Erhaltung der Muskelmasse.

Angesichts der weltweit zunehmenden Zahl übergewichtiger und adipöser Menschen gewinnen Medikamente zur Gewichtsreduktion stetig an Bedeutung. Auf dem Europäischen Adipositas-Kongress (ECO) im spanischen Málaga wurde nun ein innovativer Therapieansatz vorgestellt: ein Wirkstoff, der die Wirkung einer Magenbypass-Operation nachahmt – und dabei ganz ohne chirurgischen Eingriff auskommt.

SYNT-101: Medikament statt Operation

Das Mittel mit dem Namen SYNT-101 wird einmal täglich oral eingenommen und basiert auf einem neuen Wirkprinzip. Es bildet eine temporäre Schicht im Zwölffingerdarm, die den Nährstofffluss in tiefere Darmabschnitte umlenkt – vergleichbar mit dem Effekt einer Magenbypass-Operation. Dieser sogenannte „Duodenal Nutrient Exclusion“-Mechanismus soll nicht nur das Sättigungsgefühl verbessern, sondern auch die Stoffwechselregulation unterstützen.

Laut einer Mitteilung der Europäischen Vereinigung zur Erforschung von Adipositas (EASO) zeigten erste klinische Daten, dass SYNT-101 die Umleitung der Nährstoffaufnahme sicher und effektiv umsetzt. Entwickelt wurde der Wirkstoff vom US-amerikanischen Biotech-Unternehmen Syntis Bio.

Vorteile gegenüber aktuellen Abnehmmitteln

Aktuell gelten sogenannte GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid (Wegovy) als Standard in der medikamentösen Adipositastherapie. Doch sie bringen auch Nachteile mit sich: Häufige Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Erbrechen, Probleme mit der Langzeitanwendung und in vielen Fällen eine unzureichende Erhaltung der Muskelmasse sind Kritikpunkte.

SYNT-101 könnte hier eine Alternative bieten. In präklinischen Studien an Nagetieren führte das Mittel über sechs Wochen zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von rund einem Prozent pro Woche – bei vollständiger Erhaltung der Muskelmasse. Zudem sanken die Kalorienaufnahme um zehn Prozent und der Nüchternblutzuckerwert um acht Prozent.

Von Muscheln inspiriert: Polydopamin als Wirkstoffbasis

Die medizinische Grundlage des neuen Medikaments ist ein Stoff namens Polydopamin – ein Protein, das Muscheln nutzen, um sich an Felsen zu heften. Im menschlichen Körper bildet Polydopamin eine dünne, temporäre Schicht auf der Dünndarmschleimhaut. Diese blockiert gezielt die Nährstoffaufnahme im oberen Dünndarm und wird innerhalb von 24 Stunden wieder ausgeschieden.

Pilotstudie zeigt erste Erfolge

In einer ersten klinischen Pilotstudie erhielten neun gesunde Freiwillige zwischen 24 und 53 Jahren unterschiedliche Dosierungen von SYNT-101. Dabei wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen festgestellt. Endoskopische Aufnahmen bestätigten die Bildung der Polydopamin-Schicht im Darm, Blutuntersuchungen zeigten Hinweise auf eine veränderte Hormonlage mit erhöhtem Leptin- und gesenktem Ghrelinspiegel – ein Indiz für gesteigertes Sättigungsgefühl und geringere Nahrungsaufnahme.

Ein Glukosetoleranztest belegte zudem, dass die Zuckeraufnahme nach Einnahme des Medikaments deutlich verzögert war: nach 30 Minuten um 35 Prozent, nach 60 Minuten um 21 Prozent gegenüber unbehandelten Probanden. Dies weist darauf hin, dass die Resorption tatsächlich in spätere Darmabschnitte verlagert wurde – ganz im Sinne der angestrebten Wirkung.

Ausblick: Größere Studien geplant

Noch handelt es sich um frühe Ergebnisse. Um Wirksamkeit und Sicherheit von SYNT-101 belastbar zu beurteilen, sind umfangreichere Studien notwendig. Syntis Bio plant, in der zweiten Jahreshälfte 2025 einen Antrag bei der US-Arzneimittelbehörde FDA einzureichen, um mit klinischen Phase-I-Studien beginnen zu können.

Rahul Dhanda, CEO des in Boston ansässigen Unternehmens, zeigte sich optimistisch: „Wir freuen uns darauf, unsere bisherigen Daten in größeren Studien zu bestätigen. SYNT-101 hat das Potenzial, eine sichere, nachhaltige und effektive Gewichtsabnahme zu ermöglichen – durch den Erhalt von Muskelmasse und die natürliche Anregung von Sättigungshormonen.“

Sollte sich der Ansatz bewähren, könnte SYNT-101 künftig eine echte Alternative zu chirurgischen Eingriffen und derzeit gängigen Abnehminjektionen darstellen.

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