Veganerin, Vegetarierin und Fleischfan an einem Tisch: Geht das?

Veganerin, Vegetarierin und Fleischfan an einem Tisch: Geht das?
Viele junge Menschen leben vegan oder vegetarisch. Aber was, wenn nicht alle mitmachen? Eine Familie erzählt, wie's geht.

Immer wieder sonntags. In der Pfanne brutzeln Eier und Schinken. Es duftet nach Waffeln. Auf dem Holzbrett wird Gemüse geschnipselt, eine Avocado zu Aufstrich verarbeitet, dazu gibt’s Gebäck. Sonntagsbrunch im Hause Schöberl. Gemütlich und – ungewöhnlich.

Hier isst keiner wie der andere. Mama Melanie (44) ist seit vier Jahren Vegetarierin und verzichtet nun auch auf Zucker. Ebenso Tochter Selina (20), die vegan lebt. Papa Karl (45) ist bekennender Allesesser – er liebt Zucker und Fleisch vom Bauern seines Vertrauens. So wie der Papa mag Selinas jüngere Schwester Carmen (19, nicht im Bild) Schweinsbraten und Schnitzel – nicht täglich, aber ganz verzichten will sie nicht darauf. Klingt nach Konfliktpotenzial, doch Karl Schöberl sagt dazu nur: „Man glaubt es vielleicht nicht, aber es gibt bei uns keine Probleme.“

Das funktioniert so: „Jeder versteht den anderen irgendwie. Außerdem versuchen wir, Diskussionen und unbedachte Kommentare zu vermeiden. Toleranz muss sein“, sagt Selina. Man respektiert einander.

Veganerin, Vegetarierin und Fleischfan an einem Tisch: Geht das?

Die 20-jährige verzichtet seit dreieinhalb Jahren auf Fleisch, zuletzt auch auf alle Produkte tierischen Ursprungs: „Des Tierleids und der Umwelt wegen. Ich habe mich gefragt, woher das Fleisch auf dem Teller kommt.“ Auch für Mama Melanie war das ausschlaggebend: „Ich mochte schon als Kind kein Fleisch, aß als Jugendliche nur Pute und Huhn. Irgendwann habe ich in der Nähe eines Schlachthofs gearbeitet, mit all dem Leid vor der Nase. Da hat’s Klick gemacht.“ Bei Tisch wird tunlichst nicht über dieses Thema gesprochen. Im Eiskasten sollte trotzdem kein „ganzes Tier“ (wie z. B. ein Huhn) liegen, Fleisch oder Wurst geht schon. Das ist aber sowieso immer weniger der Fall. „Mittlerweile esse ich meist auswärts Fleisch, daheim kaum“, schildert Karl Schöberl. An den vegetarischen und veganen Gerichten seiner Frau und Tochter findet er zunehmend Gefallen. Sogar fleischlose Burger hat er gekostet: „Nicht schlecht.“

Die Schöberls sind das perfekte Beispiel für eine Entwicklung, die in vielen Familien zu beobachten ist. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich, auf Fleisch oder überhaupt auf tierische Produkte zu verzichten. Und sorgen so für eine Revolution am heimischen Esstisch.

Jung & fleischlos

Ein weltweiter Boom, auf Instagram gibt es mittlerweile fast 74 Millionen Posts mit dem Hashtag „vegan“. Stars machen es vor. So haben vor Kurzem die Sängerin Beyonce und ihr Ehemann, Rapper Jay-Z, Fans mit der Aussicht auf ein 30-Jahre-Dauerticket zu mehr veganer Ernährung animiert. Dabei geht es gar nicht darum, nur ohne tierische Produkte zu leben, sondern weniger davon zu konsumieren. Laut einer Gallup-Umfrage (im Auftrag vom „Verein gegen Tierfabriken“) lag die Zahl der Veganer in Österreich Ende 2018 bei 106.000, etwa neun Prozent der Bevölkerung leben vegetarisch. „29 Prozent der Schülerinnen und Schüler und Studenten lehnen Fleisch komplett ab“, sagt Felix Hnat von der veganen Gesellschaft Österreich. Das führt zu Verwerfungen im Familienleben, aber auch dazu, dass Eltern ihre Ernährungsgewohnheiten ebenfalls überdenken.

Die Sorgen der Eltern

Veganerin, Vegetarierin und Fleischfan an einem Tisch: Geht das?

„Unsere Tochter, 18, wurde vor sechs Jahren zur überzeugten Vegetarierin, nachdem sie Videos über Schlachthöfe gesehen hatte. Nach anfänglicher Ratlosigkeit, was ich kochen sollte, habe ich vor vier Jahren den Selbstversuch unternommen, mich ebenfalls so zu ernähren“, erzählt Gabi Toman. Sie blieb dabei und fühlt sich derzeit „gesünder und vitaler als je zuvor“. Auch Doris Pennetzdorfer, deren Tochter Sophie im Alter von zehn Jahren Vegetarierin und später Veganerin wurde, ist nun Flexitarierin: „Ich esse kein Fleisch, aber Fisch.“ Der Weg dorthin war nicht einfach: „Ich war anfangs nicht mit der veganen Lebensweise meiner Tochter einverstanden, aber Sophie hat mich überredet, dass wir es in der Fastenzeit versuchen. So war die erste Hürde geschafft und sie durfte, unter Auflage eines jährlichen Blutbefunds, weitermachen.“ Nicht ganz so rund läuft es bei Elisabeth Kandler und ihrer Tochter Katharina. Diese hat sich entschieden vegetarisch zu leben. „Sie ist jetzt 18, aber ein Pudding-Vegetarier und ernährt sich vorwiegend von Pommes, Pizza und Süßspeisen.“ Das gefällt der Mama gar nicht, sie macht sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Tochter.

Es irrt, wer denkt, vegan oder vegetarisch zu leben, sei automatisch gesünder. Falsch interpretiert, rutscht man rasch in einen Nährstoffmangel. „Das Weglassen tierischer Lebensmittel ist per se nicht gesund. Es geht um die richtige Zusammenstellung der Nahrungsmittel, sodass Vielfalt gewährleistet ist und man alle wichtigen Nährstoffe über einen längeren Zeitraum zu sich nimmt. Wer sich vegan ernährt, braucht ein großes Wissen, entsprechende Planung und Struktur“, sagt Alexandra Hofer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung.

Viel Unwissen

Dazu kommt, dass viele nicht wissen, was „vegan“ genau bedeute. „Sogar Köche wissen oft nicht Bescheid“, sagt Hofer. Selina Schöberl dazu: „Jede Form der Ernährung kann gesund oder ungesund sein. Doch gerade bei veganer Ernährung ist es wichtig, ausgeglichen zu essen. Sie sollte vor allem auf Obst, Gemüse und Getreide basieren.“ Dass der Aufwand größer ist, bestätigt sie: „Ich muss gut planen und alles vorbereiten.“ Wenn sie arbeiten geht oder zur Uni, richtet sie sich Essensdosen her, deren Inhalt gut überlegt sein muss. „Mir kommt schon vor, dass das mehr Arbeit ist“, sagt ihr Vater.

Veganerin, Vegetarierin und Fleischfan an einem Tisch: Geht das?

Am Angebot scheitert’s aber nicht mehr. Während man früher in Restaurants mit faden Gemüsetellern abgespeist wurde, boomen Lokale mit fleischlosem Angebot. Und auch in den Supermärkten sind die Regale voll mit veganen oder vegetarischen Produkte.

Ein Grund zum Jubeln? Bedingt. „Es gibt viele tolle Ersatzprodukte, aber man muss manches kritisch hinterfragen“, sind sich Melanie und Selina Schöberl einig. In vielen Sachen stecke ein Übermaß an Zucker und Salz, Palmöl sowie Chemie. Einige fleischlose Convenience-Produkte sind weder gesund noch nachhaltig. „Das Emblem „vegan“ führt allerdings dazu, dass Menschen denken, es könne nur gesund sein. Genau das macht es so schwierig, sich als Konsument eine kritische Haltung zu bewahren“, sagt Alexandra Hofer.

Felix Hnat von der VGÖ begrüßt es dennoch, dass das Angebot für Veganer wächst. „Weil es hilft die Umwelt oder die Tiere zu schützen. „Ich freue mich über jedes neue vegane Produkt. Für mich bleibt die rein pflanzliche Ernährung mit Obst, Gemüse und Getreide erste Wahl.“

Aufgetischt

Und was serviert Familie Schöberl, wenn Gäste kommen – oder an Festtagen? Ein weiterer Beweis, dass es mit Toleranz recht gut klappt: „Zu Weihnachten gibt es bei uns für die Fleischtiger Schweinsbraten, Selina und ich machen uns was extra, zum Beispiel geröstete Knödel mit Gemüse“, erzählt Melanie.

Hie und da werden die Besucher angeschwindelt, – zum Beispiel, wenn ein Topf Spaghetti Bolognese auf den Tisch kommt und erst nach dem Essen verraten wird, dass das Sugo fleischlos war. „Bisher hat’s aber allen geschmeckt“, lacht Selina.

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