Maxton Hall - S2

"Die Welt gehört uns!" Teenager-TV als internationaler Trend

Einem Phänomen auf der Spur: Warum Teenager-Serien den Streaming-Markt dominieren.

Maxton Hall, The Summer I Turned Pretty, Heartstopper, Euphoria – die internationalen Streaming-Charts werden von Teenagern beherrscht. Was im traditionellen Fernsehen noch ein reines Nischenprogramm war, also Filme und Serien für und mit Jugendlichen, ist zum absoluten Massenphänomen geworden.

Wer also 2018 bei der ersten Staffel der spanischen Erfolgsserie Elite noch dachte, dass hier nur ein Showrunner sein fragwürdiges Faible für Schauspielerinnen in kurzen Schuluniform-Röcken auslebt, wurde noch im gleichen Jahr mit dem italienischen Baby und schließlich mit Euphoria rasch eines Besseren belehrt. 

Denn dicke Dosen Drama unter Jugendlichen wurden nicht nur zum Dauerbrenner, sondern zogen mehr und mehr Zuschauer an. Wobei besonders Euphoria zusätzlich eine visuelle Radikalität einbrachte, die auch Menschen faszinierte, die mit dem Genre sonst nichts zu tun haben. 

Und mit Hunter Schafer, Zendaya, Sydney Sweeney, Jacob Elordi junge Hauptdarsteller,  die mittlerweile alle ausgewachsene Megastars sind.

Wer schaut Jugend-Serien? 

Sex Education (2019)  fügte Humor, Herz und Aufklärungswillen zur Formel dazu, Drei Meter über dem Himmel (2020) versetzte uns in einen adriatischen Sommer wie damals. Wobei das entscheidende Wort dieses Satzes „uns“ ist. Denn um eine derartige Breitenwirkung zu erzielen, wäre ein rein jugendliches Zielpublikum ganz einfach zu wenig. Nicht umsonst galten diese Filme ja zuvor als Nischenprodukt, mit dem nichts zu verdienen sei. 

Die großen Einschaltquoten der neuen Erfolgsserien kommen also  – auch –  von Zuschauern weit außerhalb der Teenagerzone. 

Warum aber kleben Erwachsene am Bildschirm, wenn Schule, erste Liebe und Cliquen-Intrigen Thema sind? „Nostalgie stärkt das Selbstgefühl, verbindet Menschen sozial und hilft, Stress abzupuffern“, sagt die amerikanische Psychologin Krystine Batcho zu diesem Phänomen. 

Und auch die heute  Erwachsenen erinnern sich nur zu gut daran, als sie Musik immer zu laut hörten, als sie zu Songs getanzt haben, die ihre Eltern hassten, als sie nicht nur dachten, sondern wussten: Die Welt gehört uns!

Eine dieser Serien anzuschauen ist also für Boomer und Vertreter der Generation X beinahe so, wie die Zeit zurückzudrehen: Diese überhöhte Intensität der Gefühle, die man eben nur in einem gewissen Lebensabschnitt fühlt – oder erleidet – wird, wenn schon nicht neu erlebt, so doch erinnert. 

„Wir“ schauen also gewissermaßen zu, um uns selbst wieder jung zu fühlen. Dazu bieten die meisten der erfolgreichen Produktionen zusätzlich eine zweite Erlebnisebene an: Eltern, Lehrer, Mentoren, Betreuer – reiche Familienclans oder solche, die ums Überleben kämpfen müssen. 

Euphoria

Jung-Stars & Identifikationsfiguren: Sophia Rose Wilson, Sydney Sweeney, Barbie Ferreira und Alexa Demie in „Euphoria“

©HBO/Warner Bros. Discovery, Inc.

Deren Vertreter kämpfen sich durch ihre eigenen Dramen und Intrigen, haben Affären, ver- oder entlieben sich, während sie mit den jugendlichen Stars interagieren. Und sorgen so für eine Komplexität, in der jeder seine Identifikationsfigur findet.

Boomer wollen jung bleiben

Warum  ist die Sache eigentlich erst jetzt explodiert, und hat nicht schon immer funktioniert? Boomer und Generation X hatten Eltern, denen der Krieg und die Mühen des Wiederaufbaus die Jugend gestohlen hatten...

Mit  Teenagerserien und den darin gezeigten „Flausen“, der exaltierten ersten Liebe und fiesen Intrigen am Schulhof   konnten die naturgemäß nicht viel anfangen. Aber: Die heute „Alten“  wissen selbst noch sehr wohl, wie man es richtig krachen lässt. Sie haben genau das, vor ihren Eltern natürlich geheim, auch schon erlebt. 

Die meist verständnisvollen Eltern der modernen Serien wirken auf sie tröstlich, genau solche hätten sie sich auch gewünscht. Und dass die Serien-Eltern letztlich dennoch ebenso ratlos im Umgang mit dem Nachwuchs sind wie sie, bietet eine zusätzliche Identifikationsebene. 

Wobei der gnadenlose Erfolg von Maxton Hall zumindest für alle, die sich an die alten Edgar-Wallace- oder etwas weniger alten Rosamunde- Pilcher-Verfilmungen erinnern, doch ein wenig überraschend kommt. Denn wenn deutsche Produktionen so tun, als wären sie aus England, dann hat das immer  etwas zum Fremdschämen ...

Und wohin geht die schöne neue und so wunderbar jugendliche Serienwelt? Sie wird noch breiter werden, sämtliche Genres durchdringen. Jugendliche Sets, schnelle Schnitte, große Gefühle sind der gemeinsame Nenner. Dazu düstere Themen wie Sucht, Prostitution oder Gewalt, etwa in Euphoria, Baby und Elite oder augenzwinkernde Ironie, Wortwitz und jede Menge Cringe-Momente wie in Sex Education. Diese Serien spielen allerdings alle noch in einer gewohnten, zeitgenössischen Schülerwelt...

Mit Bridgerton: Young Charlotte hat man sich aber bereits auch das Setting eines Period-Dramas, also eines Historienschinkens, vorgenommen. Und die wirklich unterhaltsamen zwei Staffeln des The Boys-Ablegers Gen V spielen zwar in einer Schule – aber einer für Superhelden! 

Das klassische Dreiecks-Liebesdrama feierte mit The Summer I Turned Pretty bereits Riesenerfolge und aktuell geben wir uns mit Boots den immer wieder beliebten Ausbildungswahnsinn junger Marines der US-Army. Mit LGBTQ-Twist, also quasi Ein Offizier und Gentleman auf queer.  Während Adolescense tatsächlich eine mitreißende Crime-Studie war.

Auch das klassische Horror-Genre wird immer jünger. Mit zeitgemäßen Themen wie im britischen Red Rose, wo’s  um eine App geht, die ihre User manipuliert. Neben dem Social-Media-Albtraum werden aber auch traditionelle Themen verstärkt aufgegriffen: Zombie-Horror  etwa – mit Comedy-Elementen in Generation Z aus England, schrill und exzentrisch in All of Us Are Dead aus Korea. 

Und die nächsten Zeitreisen stehen uns schon ins Haus: In Finding Her Edge kämpfen zwei Eiskunstlauf-Schwestern um Erfolg und Liebe, und Easton Prep (beide Netflix 2026) bringt uns alle wieder zurück auf die Schulbank. 

Endlich!

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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