
Fernsehen: Streaming-Star Korea - und der Rest der Welt
Ist Korea das neue Skandinavien? Oder vielleicht doch Indien? Vielleicht ja – fest steht jedenfalls: Die Zukunft der Serien ist spannender denn je.
Es begann mit einem Kinderspiel: Rotes Licht, grünes Licht ... Und plötzlich hatte die ganze Welt Augen für Korea. „Squid Game“ katapultierte nicht nur Spieler in Overalls auf TikTok und in Memes, sondern machte klar: Serien können global zünden, ohne aus Hollywood zu stammen.
Die Mischung aus Kinderspiel, tödlichen Konsequenzen und sozialer Satire faszinierte Millionen, während Billie Eilish, BTS und Cardi B die Serie selbst feierten. Kurz: Ein weltweites Popkultur-Phänomen, das die Aufmerksamkeit auf Asien als Produktionsregion lenkte.
Und: Südkorea liefert weiter. „All of Us Are Dead“, „Sweet Home“ und „Extraordinary Attorney Woo“ haben bewiesen: Horror, Thriller, Drama – in der neuen Film-Metropole Seoul kann man alles, und vor allem kommt auch alles international sehr gut an.
Die letzte Staffel von „Squid Game“ setzte mit knapp 110 Millionen Aufrufen in den ersten zehn Tagen nicht nur einen neuen Streaming-Rekord, sie deutete mit dem letzten Bild der letzten Staffel – Cate Blanchett in Los Angeles – sogar die Erweiterung ihres Universums an. Auch wenn Showrunner Hwang Dong-hyuk das noch höflich lächelnd dementiert.
Aber: Man ist doch ein wenig an die Zeit erinnert, als Scandinavian Noir für Furore sorgte oder das „Haus des Geldes“ aus Spanien weltweit Gesprächsstoff lieferte und Nachahmer animierte. Nur dass die Zahlen aus Ostasien die aus Europa noch einmal deutlich toppen. Ist Korea also das neue Skandinavien am Streaming-Globus?
Der Zauber der Exotik
Die Sache ist wohl diffiziler. Und bunter. Und noch um einiges spannender.

Aus Korea kommen derzeit Hit um Hit. Auch "Genie Make a Wish" über einen schrulligen Flaschengeist wird mit Spannung erwartet
©jisun park/ NetflixDenn was in Skandinavien, England, Spanien und Italien begann, war erst der Anfang. Regionalität kann sich auch – oder vielleicht gerade – in einer zunehmend globalisierten Welt behaupten. Weil sie anders ist, neue Blickwinkel zeigt, neugierig macht.
Interessierten sich früher mal gerade die westösterreichischen Nachbarn für eine bayerische Produktion, kann die unter bestimmten Umständen heute zu einem globalen Phänomen werden. Der Zauber der Exotik funktioniert eben auch andersherum.
Und so tauchen neben Südkorea ständig und überall neue Player auf, mit eigenen Sichtweisen, Charakteren und neuen, distinktiven Atmosphären.
Indien, lange Zeit für Bollywood-Melodramen und -Heldenepen belächelt, klopft mit Nachdruck an die Wohnzimmertüren dieser Welt an. Und zwar mit Produktionen, die eine perfekte Mischung aus Gesellschaftsdrama, Crime-Thriller und Pop-Exzess bieten. Neu und innovativ, ganz ohne dem altbekannten Kitsch. „Delhi Crime“ (Netflix) hat schon vor Jahren gezeigt, wie hart, kompromisslos und international konkurrenzfähig indische Serien sein können.
Mit „Killer Soup“ ging’s zuletzt noch schräger zur Sache: Eine Hausfrau mit Ambitionen als Spitzenköchin, ein mörderisches Doppelleben und jede Menge schwarzer Humor.
Und die Pipeline ist voll: Auf Amazon Prime ist „Mirzapur“ längst ein Kult-Phänomen – eine extraharte Mischung aus „Narcos“ und Shakespeare-Blutbad im Gangster-Milieu von Uttar Pradesh. Die Fans brennen schon auf die neue Staffel.
Netflix kontert mit „Heeramandi“, Sanjay Leela Bhansalis visuell opulentem Drama über das Bordellviertel von Lahore in den 1940ern, das schon im Trailer wie ein Fiebertraum aus Farben, Intrigen und Machtspielen wirkt.
Türkisch mit alles
Ähnlich wie Indien assoziierte man auch die Türkei serientechnisch lange Zeit höchstens mit tränenreicher Dramatik. Aber diese Meinung ist seit einiger Zeit nicht mehr adäquat. Auf Netflix hat „Der Club“ bewiesen, dass das Istanbul der 1950er-Jahre ein ebenso glamouröses wie politisch explosives Setting bieten kann – Familiengeheimnisse, Musik, große Gefühle.
Ganz anders wiederum „Shahmaran“. Hier trifft orientalische Mythologie auf moderne Mystery, mit Beren Saat als Forscherin, die einer uralten Schlangenkönigin auf die Spur kommt.
Richtig Fahrt nimmt auch das Crime-Genre auf: „The Tailor“ schneidert nicht nur Kleider, sondern auch Intrigen, während „Yakamoz S-245“ die Türkei ins Sci-Fi-Feld katapultiert – ein Spin-off zu „Into the Night“, das U-Boote statt Flugzeuge in den Mittelpunkt stellt. Amazon Prime hat mit „Hot Skull“ einen dystopischen Nerv getroffen: In einer Welt, in der eine Sprachseuche die Menschheit bedroht, kämpft ein Einzelgänger ums Überleben – schräg, atmosphärisch, global anschlussfähig.
Wo bleibt Europa?
Beide Länder, Indien und die Türkei, sind also auf dem besten Weg, mit „dem neuen Skandinavien“ Korea gleichzuziehen. Müssen wir deshalb nun auf das „alte“ Skandinavien verzichten?

Mit „Das Reservat“ hält zum Beispiel Dänemark die Nordic-Noir-Tugenden hoch. Auf sehr gutem Niveau
©Courtesy of NetflixOder auf die geliebte britische Authentizität? Auf spanisches Temperament oder italienische Intrigen und temporeiche Gefühlsverirrungen? Keineswegs. Eigentlich: Im Gegenteil. Auch die alten Player liefern weiterhin Serien, die Trends setzen. England etwa, das uns schon mit grandiosen Serien wie „Luther“, „Broadchurch“ und „Top Boy“ beschenkte. Von der Insel kam heuer mit „Adolescence“ eine der erfolgreichsten Serien des Jahrzehnts.
Und die punktete nicht nur mit bewährten britischen Tugenden – Charaktere statt Schablonen, gnadenlose Authentizität – sondern auch einem innovativen Ansatz: Jede Folge wurde als One-Take-Shot aufgezeichnet, völlig ohne Schnitt. Was für ein fast fieberhaftes „Dabeisein“ sorgte, eine Sogwirkung, der sich Millionen Zuschauer nicht entziehen konnten.
Ob diese aufwendige Aufnahmetechnik ob des immensen Erfolges der Produktion Schule machen wird, ist eine Frage, der wir demnächst nachgehen sollten. Regisseur Philip Barantini ist jedenfalls ein Mann, den man im Auge behalten sollte.

Mit „Haus des Geldes“ löste Spanien vor acht Jahren einen globalen Hype aus. Und dass die iberischen Filmemacher immer noch wissen, wie man das Publikum fasziniert, beweisen sie aktuell mit der Netflix-Serie „Der Milliardärsbunker“, die auf Anhieb die Spitze der Streaming-Charts erreichte.

Großes Kino im Fernsehen: "Il Gattopardo" aus Italien. Im Bild Astrid Meloni als Maria Stella und Kim Rossi Stuart als Fabrizio (Netflix)
©LUCIA IUORIO/NETFLIXItalien zeigte mit „ Der Leopard“ heuer schon ganz großes Kino im Serienformat und ist derzeit, wie schon früher mit Serien wie „Baby“, durch „RIV4LRIES“ im immer beliebteren Coming-of-Age-Genre erfolgreich.
Und Skandinavien hält weiter Nordic Noir hoch: „Secrets We Keep“, „The Åre Murders“, „Wisting“ – düster, atmosphärisch, komplex. Das macht tatsächlich kaum jemand besser.
Es geht also keinesfalls um „Ablösung“ oder Verdrängung – sondern um Vielfalt. Die Streaming-Landschaft hat sich demokratisiert. Regionalität wird als charmant empfunden, unbekannte Eigenarten, Traditionen, Landschaften ziehen ein weltweites Publikum in ihren Bann.
Österreichs „Der Pass“ ist ebenfalls ein gutes Beispiel für dieses Phänomen. Neue Länder zeigen, dass Innovation überall entsteht. Und das Spannende daran: Man weiß nie, welche Überraschung als Nächstes kommt – Hauptsache, sie ist gut erzählt.
Kommentare