Peripheral

Showrunner: Die Architekten unserer Sehnsüchte

Showrunner wie Jonathan Nolan, Damon Lindelof oder Taylor Sheridan bauen Welten, prägen Trends – und entscheiden, was wir bingewatchen.

"Flug 815“ – alles begann mit einem Absturz. Lost (2004) ließ nicht nur ein Flugzeug, sondern auch die bis dahin klaren Rollen im Fernsehen explodieren. Denn bei allem Hype um die schöne Evangeline Lilly und die Frage, ob sie sich nun für den braven Dr. Jack oder den schlitzohrigen Sawyer entscheiden wird, sprach man doch plötzlich mehr über den Mann hinter den gehirnverknotenden Rätseln und irren Geschehnissen der Serie: Damon Lindelof

Der hatte zuvor Serien wie Crossing Jordan und Nash Bridges produziert. Gute Unterhaltung, solide gemacht und durchaus beliebt – aber so etwas wie Lost hatte niemand von ihm vermutet. Doch  so wurde der Showrunner zum neuen Star – und 20 Jahre später sind seine Kollegen  es, die unsere Sehgewohnheiten prägen.

US-ENTERTAINMENT-MEDIA-MUSIC-FESTIVAL-SXSW

Damon Lindelof, legendärer Showrunner und Serien-Erfinder (Lost, The Leftovers, Watchmen)

©APA/AFP/SUZANNE CORDEIRO

Die Weltenbauer

Jonathan Nolan ist ein Paradebeispiel. Gemeinsam mit Lisa Joy schuf er in Westworld eine künstliche Intelligenz-Parabel, die zu Recht als „neues Game of Thrones“ gefeiert wurde. Wir wurden in eine fantastische Welt voll  versklavter Androiden, überheblicher Menschen und perfekt ausgesuchter Shakespeare-Zitate entführt: „Hell is empty and all the devils are here.“ 

Nolan ist produktionstechnisch allerdings nicht als Sparmeister bekannt und so zog HBO nach der vierten Staffel leider den Stecker. 

Dass sein ebenfalls großartiges Peripheral schon nach der ersten Staffel abgesetzt wurde, hat nichts mit den Quoten zu tun, sondern mit dem Autorenstreik, der 2023 die Studios lahmlegte. 

Doch jetzt ist der kleine Bruder von Oscar-Preisträger Christopher Nolan wieder voll im Geschäft: Mit Fallout konzipierte er eine der erfolgreichsten Serien des Jahrzehnts. Und die Fans fiebern schon dem 17. Dezember entgegen, wenn's für Lucy und den Guhl im Wasteland endlich weitergeht.

Auch David Benioff und D.B. Weiss haben uns mit Game of Thrones eine eigene Welt beschert – und die Art, wie wir Serien sehen, für immer verändert. Acht Staffeln lang regierten sie mit Intrigen, Gewalt und Drachen die Popkultur. Auch, wenn die letzte Staffel bei vielen Fans für Unmut sorgte ...

Aktuell sind sie mit 3 Body Problem wieder im Rennen. 

Die Visionäre

Damon Lindelof selbst hat nach Lost mit The Leftovers erneut Maßstäbe fürs Fernsehen gesetzt – und mit Watchmen die vielleicht klügste Comic-Adaption aller Zeiten geschaffen. Visionäre wie er denken Serien größer als nur in Staffeln. Auf seine neue Comic-Serie Lanterns (u.a. mit Kelly Macdonald), die 2026 ins Fernsehen kommen soll, darf man mehr als nur gespannt sein. 

Vince Gilligan wiederum setzte Maßstäbe in epischer Charakterentwicklung: Breaking Bad und Better Call Saul gelten als moderne Klassiker. Aktuell arbeitet er an einem geheimen Projekt für Apple TV+, das, obwohl niemand etwas Konkretes darüber weiß, bereits für Aufregung sorgt. 

Am  „Cowboy“ Taylor Sheridan sind schon allein  die Dimensionen, in denen er denkt, visionär. Aus der modernen Western-Serie Yellowstone zimmerte er in wenigen Jahren ein ganzes Universum. Keinesfalls übertrieben, mittlerweile sind sieben (!) Spin-offs bereits produziert oder zumindest in fortgeschrittener Planung: „1883“, „1923“, „1944“, „Y: Marshals“, „The Madison“, „6666“, „Rio Palo"

Um seine vielen Projekte filmisch umsetzen zu können, hat Sheridan sich in Texas eines der größten Studios der USA bauen lassen, in dem er vier Serien gleichzeitig produzieren kann. Und dass er keinesfalls "nur" Cowboys kann, bewies er mit dem Drehbuch zum Thriller Sicario. Und ganz aktuell mit der Action/Thriller Serie Special Ops: Lioness (Netflix).

Die Realisten

Ryan Murphy ist das Chamäleon der Branche. Aber was er auch angreift, ist handwerklich perfekt gemacht – und erfolgreich: Glee, American Horror Story, Dahmer, alles aus seiner Feder, alles Hits. Mal schrill, mal düster, immer markant. 

Shonda Rhimes bewegt sich ähnlich souverän zwischen Krankenhausdramen (Grey’s Anatomy) und Netflix-Großproduktionen (Bridgerton). Ihre Kompetenz in der Umsetzung unterschiedlichster Stoffe macht ihre Produktionen zu globalen Serienmarken. Jesse Armstrong wiederum schuf mit Succession eine Serie, die fast dokumentarisch wirkt – und gleichzeitig Shakespeare im Medienkapitalismus inszeniert. Großes Kino, schnörkellos gemacht. 

Und egal ob Visionär, Realist oder Weltenbauer – die Showrunner sind mit ihren Serien die Architekten unserer Sehnsüchte.

Shonda Rhimes

Unbestrittene Queen of Drama: Shonda Rhimes

©APA/AFP/ANDREA RENAULT

Das globale Streaming hat auch neue Stars hervorgebracht. Álex Pina machte mit Haus des Geldes die rote Dali-Maske zum Symbol, Hwang Dong-hyuk brachte mit Squid Game Korea auf die Landkarte, während den Dark-Machern Baran bo Odar und Jantje Friese dieses Kunststück schon zuvor mit Deutschland gelang. Aus der Türkei beeindruckte The Club, aus Österreich Der Pass  –  ein Beweis, dass auch kleinere Märkte plötzlich große Relevanz haben können. 

Aber dazu nächste Woche mehr. 

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare