Kitsch, Kult und Kaiserin: Die anhaltende Faszination der Sissi-Filme
Die Schauspieler Karlheinz Böhm und Romy Schneider hatten auch abseits des Filmsets ein inniges Verhältnis. Beide starben am 29. Mai: sie 1982, er 2014.
„Darf ich ,Sissi’ schauen?“ Wenn dieser Satz von einer Fünfjährigen durch die Wohnung hallt und sie statt Youtube-Kinderserien einen 70 Jahre alten Klassiker mit historischem Hintergrund sehen will, dann steht fest: Die TV-Trilogie über Kaiserin Elisabeth, das Liebesmärchen zwischen ihr und Kaiser Franz Josef, funktioniert noch immer.
Nicht nur kleine Möchtegern-Prinzessinnen erfreuen sich bis heute an den pompösen Kleidern und haselnussbraunen Haaren Romy Schneiders – auch Erwachsene halten den Mythos „Sissi“, der das Österreich-Bild der Nachkriegszeit wesentlich mitgeprägt hat, am Leben. Übrigens: Regisseur Ernst Marischka wählte das Doppel-s, obwohl sich die Original-Kaiserin mit einem s schrieb.
Alle wollten Romy sehen
Im Gespräch mit dem KURIER erinnert sich eine Zeitzeugin, heute Anfang 80, an den „Hype“, den „Sissi“ 1955 entfachte. „Wir waren natürlich im Kino, es war das Highlight damals“, erzählt sie. In dem kleinen Kino im Pfarrsaal in Niederösterreich wurden Zusatzvorstellungen eingeschoben und Extra-Bänke aufgestellt, weil der Andrang so groß war. Schließlich kam es sogar zu Raufereien um die sieben Schilling kostenden Tickets. „Einfach jeder wollte Romy Schneider sehen. Bis heute wird Kaiserin Sisi nur mit ihr in Verbindung gebracht.“
Bis heute ist auch das „Sissi-Schauen“ in vielen Familien ein feiertäglicher Fixpunkt. Dass die kitschig-kultige Filmreihe zum Weihnachtsklassiker avancierte, liegt am Veröffentlichungsdatum: Ab 21. Dezember war der Film im Kino zu sehen, zudem feierte die 1837 in München geborene Kaiserin Elisabeth am 24. Dezember ihren Geburtstag. Ein echtes Christkind also.
Wie ein Kuschelpullover
Die anhaltende Popularität hat auch emotionale Gründe, erklärt Daniela Renn, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin in Innsbruck. „Die Sissi-Filme sind so etwas wie ein emotionaler Kuschelpullover. Sie stehen für eine heile Welt, klare Rollenbilder und eine Portion Nostalgie, die vielen Menschen guttut; besonders zu Weihnachten, wenn wir nach Geborgenheit und Ritualen suchen.“ Dazu komme ein starker Familieneffekt, sagt Renn: „Man schaut nicht nur Sissi, man wiederholt ein Gefühl aus der Kindheit. Diese Tradition hält den Zauber am Leben, Generation für Generation.“
Berühmte Filmkulisse: Schloss Fuschl wurde zu Possenhofen.
Sissi im Salzkammergut
Besonders spürbar wird der Sis(s)i-Glanz an den Original-Schauplätzen und Drehorten. In Schloss Fuschl, das im Film als Schloss Possenhofen (Bayern) dient und heute ein Luxushotel beherbergt, trinkt man Tee im „Sisi Salon“. Das nahe Bad Ischl, wo die Verlobung stattfand, ist voll von Sisi-und-Franzl-Flair. Und auch die Hauptstadt profitiert vom Sissi-Effekt (siehe unten).
Die „Sissi“-Filme beeinflussten nicht nur die Karrieren der Darsteller. Sie haben auch das Image Österreichs als touristische Destination geprägt. Und das wirkt bis heute nach.
„Sissi ist ein wichtiger Teil der touristischen Marke“, bestätigt Wifo-Ökonom Oliver Fritz im Gespräch mit dem KURIER. Für den Großteil der Besucher seien die ehemalige Kaiserin und ihre Geschichte vermutlich nicht der Hauptgrund, Österreich zu besuchen. Trotzdem sei sie „ein Puzzle-Teil im gesamten Angebot“. „Sissi steht im Tourismusland Österreich für die imperiale Vergangenheit. Das zieht viele Gäste an“, sagt Fritz. Dieser Effekt betreffe vor allem die Bundeshauptstadt mit ihren historischen Gebäuden und Denkmälern.
Millionen Besucher
Das zeigen auch die Zahlen der Schönbrunn Group, die im Auftrag der Republik etwa das Schloss Schönbrunn und das „Sisi Museum“ in der Wiener Hofburg verwaltet. Das Schloss Schönbrunn verzeichnete 2024 insgesamt fast 3,6 Millionen Eintritte. Das Museum, das Elisabeth in der Hofburg gewidmet wurde, besuchten circa 872.000 Gäste.
Vor allem der Anteil internationaler Besucher, etwa aus Fernmärkten wie den USA oder Asien, sei 2024 gestiegen. „Dieser Trend bestätigt die internationale Anziehungskraft der Kulturgüter und ihre wachsende Bedeutung als kulturhistorisches Ziel für Gäste aus aller Welt“, heißt es von der Schönbrunn Group. Und davon profitieren nicht nur die Tourismusbetriebe. Auch den heimischen Gastronomen und den Händlern spülen die vielen internationalen Besucher Geld in die Kassen. Marlene Liebhart
„Die Sissi-Filme sind auch heute noch so beliebt, weil sie die Seele rühren“, begründet auch Michael Wohlfart, Kurator und Sisi-Experte der Schönbrunn Group, die Faszination. „Besonders interessant an den Marischka-Filmen ist die Tatsache, dass in jeder Szene, die erzählt wird, zumindest ein Fünkchen Wahrheit steckt.“ Die drei Filme konzentrieren sich auf die ersten sechs bis sieben Jahre der Kaiserin am Wiener Hof, betont er. „Jüngere Verfilmungen hingegen orientieren sich an der älteren Elisabeth, die durch schwere Schicksalsschläge gezeichnet war.“
Die Schauplätze
Gedreht wurde u. a. in Schloss Schönbrunn, Schloss Laxenburg, am Fuschlsee, in Bad Ischl, Venedig und der Villa Cimbrone in Ravello (im Film Madeira und Korfu).
350 Kostüme
wurden in etwa für die drei Filme angefertigt, ca. 30 davon für Romy Schneider. Sie stammten von der Kostümbildnerin Gerda Iro-Gottstein (1906–2004), besser bekannt als Gerdago. Einige der legendären „Sissi-Kleider“ lagern im Kostümverleih Lambert Hofer in Wien und werden für Sonderausstellungen verliehen.
Die Requisiten
Das Möbelmuseum Wien (ehemaliges k.u.k. Hofmobiliendepot) stellte für die Dreharbeiten Original-Möbel der Habsburger zur Verfügung, die im Rahmen der „Sissi im Film Tour“ besichtigt werden können.
Die Darsteller
Vom Haupt-Cast lebt nur noch Peter Weck (95). Helga Jesch, die die kleine Prinzessin Sophie spielte, starb in den 1980ern kurz nach Romy Schneider.
Der Mythos wird erweitert
Serien wie „Die Kaiserin“ (Netflix) muten im Vergleich zum Nachkriegskitsch fast düster an. Wird der Mythos dadurch gebrochen? Im Gegenteil, antwortet Renn. „Der Mythos wird nicht zerstört, sondern erweitert.“ Die modernen Serien bedienen das heutige Bedürfnis nach Authentizität: „Wir wollen verstehen, wie Menschen wirklich waren. Das macht Sisi menschlicher und für viele sogar spannender.“
Romy Schneider im berühmten "Madeira-Kleid".
Der nostalgische Glanz der alten Filme bleibe trotzdem bestehen, sagt die Psychologin. „Beide Bilder dürfen nebeneinander existieren: die märchenhafte Sissi aus dem Fernsehen und die echte, komplexe Frau. Das hält die Figur lebendig.“
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