„Ich war nie Sissi“: Romy Schneider und der Sissi-Boom
Wien, am 21. Dezember 1955. Im Apollo-Kino wird die Premiere eines österreichischen Films gefeiert. Wie so oft damals, es war ja auch die Blütezeit des Kinos. Eine 17-jährige Schauspielerin namens Romy Schneider ist als Kaiserin Elisabeth zu sehen, doch niemand weiß, ob der Film drei, vier oder fünf Wochen laufen wird, wie das in dieser Zeit üblich war. Es sollte ganz anders kommen: Der Film läuft seit 70 Jahren! In aller Welt, in Kinos und im Fernsehen. Und ein Ende des „Sissi“-Booms ist nicht abzusehen.
Die „gute, alte Zeit“
Österreich hatte erst vor kurzem den Staatsvertrag erhalten, der Krieg lag zehn Jahre zurück, aber die Folgen waren immer noch spürbar – doch das war kein Thema für den österreichischen Film. Wir hatten ja noch eine ganz andere Geschichtsperiode zu bieten, und die ließ sich hervorragend im Kino verkaufen: die „gute alte Zeit“ mit der schönen Sissi als Glücksfall.
Das Filmplakat lockte die Massen ins Kino.
Dabei war das Leben der Kaiserin in Wirklichkeit tragisch verlaufen, doch auch davon wollte das Publikum nichts wissen. Kein Problem für Regisseur Ernst Marischka, der genau wusste, was in so einem Fall zu tun war: Er blendete die Katastrophe von Mayerling oder die Seitensprünge ihres Mannes und Elisabeths Ermordung in Genf einfach aus. Sissi wird als glückliche, ewigjunge Frau, verliebt in einen Kaiser, gezeigt. Der einzige Fehler dieses perfekt inszenierten Films liegt darin, dass er mit dem tatsächlichen Leben der Kaiserin Elisabeth herzlich wenig zu tun hat.
Glaubhaftes Spiel
Der größte Glücksfall für den Film ist die Hauptdarstellerin. Nie zuvor wurde eine Schauspielerin dermaßen mit einer Filmfigur identifiziert wie Romy Schneider mit der schönen Monarchin. Sie spielte Sissi so glaubhaft, dass die Nachwelt das Gesicht der Romy Schneider vor sich hat, wenn von Elisabeth die Rede ist. Wie die wirkliche Kaiserin aussah – das wissen die Kinobesucher in Japan, Amerika oder in Portugal in den seltensten Fällen.
Dabei war die echte Kaiserin zu ihren Lebzeiten nie so populär wie es die „falsche Kaiserin“ Romy Schneider ein halbes Jahrhundert später sein sollte: Die Bevölkerung warf Elisabeth ihren sündteuren Lebensstil und die vielen Reisen vor und dass sie ihren Mann ständig allein ließ. Von 44 Ehejahren hat sie nur vier an seiner Seite verbracht.
Apropos Kaiser. Der erfuhr durch die „Sissi“-Filme eine erstaunliche Verjüngungskur, hatte man ihn doch in allen bisher gedrehten Spielfilmen immer nur als „guten alten Kaiser“ mit weißem Backenbart gezeigt, jetzt sah man ihn, dargestellt von Karlheinz Böhm, zum ersten Mal als feschen jungen Herrscher. Wobei in der Publicity für den „Sissi“-Film gern darauf hingewiesen wurde, dass der Kaiser der Sohn des berühmten Dirigenten Karl Böhm war.
Kassenschlager
Auch mithilfe prunkvoller Kostüme und raffinierter Kameraschwenks auf das Schloss Schönbrunn, Bad Ischl oder Venedig wurde der Farbfilm „Sissi“ zum Kassenschlager, der in den Fünfzigerjahren allein im deutschsprachigen Raum 25 Millionen Besucher ins Kino lockte (nur „Der Förster im Silberwald“ soll mit 28 Millionen noch erfolgreicher gewesen sein).
Nahm „Anleihen“ für „Sissi“: Regisseur Ernst Marischka.
Und Romy Schneider wurde zum Idol. Klar, dass Regisseur Marischka und Romys verhasster Stiefvater Hans Herbert Blatzheim auf zwei weitere Folgen beharrten: „Sissi, die junge Kaiserin“ (1956) und „Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin“ (1957). Doch Romy Schneider erkannte, dass der Ruhm teuer erkauft war: „Sissi hing wie ein Klotz an meinem Bein“, schrieb sie ins Tagebuch, „Sissi lächelte selig, wenn ich Lust hatte zu weinen und zu leiden. In Wien, Paris, Rom, wenn ich ein großes Kaufhaus betrat, ja sogar im Hotel, zeigte man mit dem Finger auf mich: ,Schau, Sissi!’ Mir hing diese Person zum Halse raus. Ich war nie Sissi, ich habe sie nur gespielt, aber ich ähnelte dieser Traumfigur im Leben überhaupt nicht.“
Eine Million als Gage
Mit 19 war Romy Schneider emanzipiert genug, sich zu weigern, eine bereits fix geplante vierte „Sissi“-Folge zu drehen. Und das, obwohl man ihr eine Million Schilling bot – damals ein Vermögen. Sie ließ Sissi und Österreich hinter sich, um fortan anspruchsvolle Filme zu drehen, mit internationalen Regisseuren wie Luchino Visconti und Orson Welles.
Rechtliches Nachspiel
Die „Sissi“-Filme hatten aber auch ein rechtliches Nachspiel. Die Autoren Robert Weil und Ernst Decsey hatten 25 Jahre davor das Lustspiel „Sissy“ geschrieben, das 1932 mit Paula Wessely im Theater an der Wien aufgeführt wurde. Ein Gutachten gelangte zu dem Schluss, dass Marischka in seinem Drehbuch Inhalte des Lustspiels übernommen hatte. Es kam zu einer außergerichtlichen Einigung, derzufolge die Erben der beiden Urheber einen Teil der Tantiemen des 1. „Sissi“-Films erhielten.
Heile Film-Welt (re.): Prinzessin Elisabeth (Romy Schneider) mit ihrer echten sowie Leinwand-Mutter (Magda Schneider), Schwester Helene (Uta Franz) und ihrem Vater Herzog Max (Gustav Knuth) im elterlichen Schloss in Bayern.
Romy Schneider aber wird ein Vierteljahrhundert nach den „Sissi“-Dreharbeiten vom Schicksal der Kaiserin Elisabeth eingeholt. Wie diese verliert auch sie ihren Sohn auf dramatische Weise.
Elisabeth hat den Kronprinzen Rudolf um neun Jahre überlebt, Romy Schneider ihren Sohn Daniel Biasini nur um elf Monate. Und auch sie stirbt tragisch. Eine fatale Mischung aus Alkohol und Tabletten führt am 29. Mai 1982 zu Romy Schneiders Tod.
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