Studie enthüllt: Catcalling als Ausdruck emotionaler Defizite

Kolumne von Gabriele Kuhn bei „Sex in der Freizeit“.
Catcalling ist kein Flirt. Eine Studie der Uni Salzburg zeigt: Wer als Kind wenig Nähe erfuhr, neigt eher zu herabwürdigender Anmache.

Es ist 2025, und irgendwo in dieser Stadt ruft wieder so ein Typ: „Pfau, geiler Arsch!“ Oder da ist dieses schlichte Pfeifen, das exakt nix mit Musik zu tun hat. Catcalling heißt das, und man könnte meinen, es sei längst ein Relikt aus der Zeit der Dieseljeans und Duftbäume. Ist es nicht. Es lebt. In Innenstädten, U-Bahnen, auf öffentlichen Plätzen.

Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Englischen und bezeichnet jene Form der Straßenbelästigung, bei der Männer Frauen mit anzüglichen oder bewertenden Rufen konfrontieren. Früher, als man in Italien noch „Ciao, bella“ rief, galt das mancherorts als Flirtversuch, mitunter sogar als Kompliment – auch wenn viele Frauen schon damals instinktiv spürten, dass es weniger um Interesse ging, als um männliche Macht. Lange wurde das weggelächelt, wirklich geschmeichelt war kaum eine. Heute ist klarer denn je: Catcalling ist kein netter Balzversuch, sondern eine Grenzüberschreitung. Es ordnet etwas an: Wer schaut, wer bewertet, wer sich was nimmt. 

Psychisch bleibt das Gefühl, reduziert zu werden – auf den Körper, auf dessen Form, auf etwas, das ein Mann bewerten darf. 

Catcalling: Geringe Empathie, gefühlskalt

Eine neue Studie der Universität Salzburg mit dem Titel „Did Your Mum Not Hug You Enough?“(„Hat dich deine Mama nicht genug umarmt?“) – liefert erstmals eine psychologisch fundierte Erklärung, warum Männer Frauen in der Öffentlichkeit belästigen. Das Ergebnis: Typen, die in ihrer Kindheit wenig Geborgenheit erfahren haben, zeigen häufiger kaltherzige, unemotionale Züge – heißt: geringes Einfühlungsvermögen, Gefühlskälte. Genau diese Eigenschaften stehen in engem Zusammenhang mit Catcalling-Verhalten. Je weniger sichere Bindung, desto größer die Neigung, Macht zu inszenieren, statt Nähe zuzulassen. 

Auffällig: Eine gute Beziehung zur Mutter verringert diese Tendenz, während eine negative Vaterbindung das Risiko erhöht, Frauen auf offener Straße zu belästigen, so das Studienergebnis. Catcalling ist also kein spontaner Überschwang, sondern ein Signal für emotionale Defizite. Wer nie gelernt hat, dass Nähe verlässlich ist, verwechselt Zuwendung mit Kontrolle. Wer Respekt nicht spürt, sucht Bestätigung in der Grenzüberschreitung.

Psychische Folgen für Frauen

Es ist die unmissverständliche Demonstration sozialer Hierarchien – und das hat viele Folgen: Frauen kleiden sich unauffälliger oder fühlen sich im öffentlichen Raum unsicher. Viele reagieren mit Stress, Angst oder Enge. Psychisch bleibt das Gefühl, reduziert zu werden – auf den Körper, auf dessen Form, auf etwas, das ein Mann bewerten darf. 

In Österreich ist das bis heute nicht strafbar, anders als etwa in Frankreich, wo für Catcalling Bußgelder verhängt werden. Hierzulande gilt es erst als Delikt, wenn jemand handgreiflich wird. Dabei ist es bereits ein Griff – nach einem Körper, nach dem Menschen. 

Exakt hier kommen wir zum Stil. Stil bedeutet nämlich auch, zu wissen, wie viel Raum einem zusteht – oder nicht. Wer Stil hat, kann begehren, ohne zu verletzen. Vielleicht liegt darin auch die leise Botschaft dieser Forschung: Dass Achtsamkeit und Respekt nichts Schwächliches sind, sondern ein Zeichen von Reife. Und dass Männlichkeit sich nicht in Dominanz beweist, sondern in Selbstkontakt. Denn erotisch ist nicht, wer andere plump anmacht. Erotisch ist, wer spürt.

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