Stadtregatta

Zwei Segler mit Helmen steuern ein Boot vor dem Opernhaus von Sydney.
Zwei Segel-Olympiasieger fliegen auf Tragflügelbooten in die Zukunft ihres Sports. Und das mitten in einigen der wichtigsten Hafenstädte der Welt. VON JÜRGEN PREUSSER

In ein paar Wochen – am 30. April – wird Roman Hagara fünfzig. Doch in den vergangenen Tagen soll er mehrmals gestrahlt haben wie ein Zehnjähriger beim Auspacken seiner ersten Play Station. So geht es übrigens auch seinem Partner Hans Peter Steinacher, der zwei Jahre jünger ist als Hagara. Die beiden sind in der Formel 1 ihrer Sportart gelandet: Extremes Segeln vor weltberühmten Kulissen:

Ein Red Bull Segelboot fährt vor der Kulisse von Istanbul.
JÜRGEN PREUSSER
Doch wie ist es so weit gekommen? Olympische Sommerspiele – traditionell kein Ruhmesblatt des österreichischen Sports. 2016 ist wieder so ein Jahr, in dem es nicht um eine zweistellige Anzahl von Medaillen geht wie im Winter, sondern vielleicht gerade einmal um eine einzige. 2012 in London wurde nicht einmal dieses bescheidene Ziel erreicht.Nicht immer waren die Bilanzen ganz so trist: 2000 in Sydney und 2004 in Athen schrieben zwei Segler ein Kapitel österreichischer Sportgeschichte. Hagara aus Wien und Steinacher aus Zell am See wirbelten in einer Klasse namens Tornado zu zwei Olympiasiegen und wurden so zu den erfolgreichsten österreichischen Sommersportlern überhaupt. 2016 sind es zwar wieder ein paar Segler, denen am meisten zugetraut wird, Hagara und Steinacher spielen auf der olympischen Bühne aber keine Rolle mehr. Zwölf Jahre nach dem letzten Olympiasieg dienen ihnen jetzt die Wahrzeichen von Weltstädten als Kulisse. Der rot-weiß-rote Sport-Patriotismus interessiert die beiden nur noch am Rande, obwohl sie unter österreichischer Flagge segeln. "Wir sind nicht mehr irgendwo off shore in internationalen Gewässern unter Ausschluss der Öffentlichkeit unterwegs. Jetzt haben wir Blickkontakt zu Großstadtmenschen", schildert Steinacher. Motto: Wenn die Leute nicht zum Segeln kommen, müssen die Segler zu den Leuten kommen. Die gute Laune der beiden Supersegler wird aber auch durch ein neues, revolutionäres Boot hochgehalten. Dahinter verbirgt sich ein Zauberwort: Verhinderung bietet das Dictionary als Übersetzung für das englische Wortfoiling an. Für Segler bedeutet es allerdings etwas vollkommen anderes. Diese neue Technik hat den Sport grundlegend verändert, so wie einst derFosbury-Flop den Hochsprung oder der V-Stil das Skispringen. Schon ab einer Windgeschwindigkeit von knapp zehn Knoten – das sind 18 km/h, was einem launigen Mai-Lüfterl entspricht – steigen die beiden Rümpfe des Katamarans aus dem Wasser. Ab diesem Augenblick fetzen die Segler schneller als die meisten Motorboote auf gebogenen Tragflügeln – ebenfoils oderhydrofoils – über die Wasseroberfläche. Der Unterschied zwischen Segelboot und Segelflugzeug beginnt zu verschwimmen.
Ein Segelboot mit dem Gazprom-Logo und einer Gruppe von Seglern auf dem Wasser.
JÜRGEN PREUSSER
Die Organisatoren derExtreme Sailing Series, in der die beiden Österreicher 2015 noch ohne foiling den dritten Platz belegt hatten, haben diese neue Entwicklung konsequent vorangetrieben. 2014 hat die Dramaturgie des sporthistorischenAmerica’s-Cup-Duells zwischen dem amerikanischen Oracle-Team und dem neuseeländischen Emirates-Team die futuristischen Tragflügelboote erstmals auch bei Nicht-Seglern zum Gesprächsthema gemacht. Hagara und Steinacher werden von dieser technischen Revolution wohl mehr profitierten als andere, weil sie dank ihrer gewohnten Professionalität das Potenzial der Tragflügel sehr schnell erkannt haben."More action, more speed, more fun", sagt Hagara – knapp und präzis wie immer. "Es gibt auf dem Boot einfach mehr zu tun", berichtet er von den ersten Testfahrten in Dubai. "Jetzt ist die Bezeichnung Formel 1 der Segler wirklich gerechtfertigt", fügt Steinacher hinzu. Irgendwie verständlich, wenn ein Segelboot gerade am berühmten Hotel-Wolkenkratzer Burj al Arab, der noch dazu einem Segelboot nachempfunden ist, mit gut 80 km/h vorbei rast.250 Tage im Jahr sind Hagara und Steinacher unterwegs. Zudem sind sie noch als Direktoren der Segel-Nachwuchs-Akademie Red Bull Youth America’sCupvoll im Einsatz. Experten aus den traditionell segel-affinen Ländern wissen diese Leistungen zu schätzen und zählen die beiden Österreicher zu den international wichtigsten Protagonisten ihrer Zunft.
Ein Segler mit Helm und Handschuhen bedient ein Segelboot auf dem Wasser.
JÜRGEN PREUSSER
In der Wintersport-Nation Österreich muss man allerdings einen Vergleich bemühen: Die Erfolge von Roman Hagara und Hans Peter Steinacher entsprechen dem Sieg eines Kenianers bei der Hahnenkammabfahrt in Kitzbühel. Übrigens war Steinacher Slalomfahrer, ehe er mit dem Segeln begann."Du wirst vor allem körperlich stärker gefordert als bisher", sagt Hagara zur neuen Technik. Er ist Skipper einer fünfköpfigen Crew mit dem Strategen Steinacher, den beiden Neuseeländern Steward Dodson und Bradley Farrand, sowie dem Briten Adam Piggott. Das Team der einstigen Binnensegler vom Neusiedlersee fliegt kreuz und quer um die Welt, um an dieser höchst ungewöhnlichen und zukunftsweisenden Regatta-Serie teilzunehmen. Bei derExtreme Sailing Serieswird publikumswirksam mitten durch die Zentren von Großstädten gesegelt. Muscat, Qingdao, Cardiff, Hamburg, St. Petersburg, Istanbul, Lissabon und Sydney heißen die acht Stationen 2016.
Ein Segelboot mit dem Logo von Land Rover auf dem Segel wird von einer Gruppe von Personen bedient.
JÜRGEN PREUSSER
Die Zuschauer sitzen auf Tribünen am Ufer – oft direkt neben weltberühmten Wahrzeichen – und verfolgen das Geschehen so hautnah, dass ihnen bei gewagten Manövern das Vanilleeis zwischen den Fingern zerrinnt.Im vergangenen Oktober verpasste Roman Hagaras Red Bull Sailing Teamin der 15-Millionen-Metropole Istanbul einen noch besseren Platz in der Jahreswertung: Mastbruch – und das in Führung liegend. Sogar am steinernen Wellenbrecher am Ufer wurde der Kracher von Zehntausenden Zuschauern registriert. Die Crew blieb unverletzt, verpasste aber sechs der dreißig Wettfahrten von Istanbul wegen der Reparaturarbeiten. Zum Höhepunkt der Istanbul-Woche, einem One-Way-Rennen über die ganze Länge des Bosporus, war das Hagara-Boot mit neuem Mast aber wieder voll da und wurde Zweiter. "Trotzdem holt man so einen Punkteverlust gegen solche Leute nicht leicht auf", sagt Hagara. Mit "solche Leute" meint der Wiener seine aktuellen Rivalen, von denen die meisten zur absoluten Crème de la Crème der Segelwelt gehören. Das legendäre Team Alinghi des Schweizer Pharma-Milliardärs Ernesto Bertarelli wird 2016 in der Serie ebenso mitmischen wie der erfolgreichste Segler der Welt: der Engländer Ben Ainslie, vierfacher Olympiasieger und America’s-Cup-Gewinner, steigt mit seinem Land Rover Sailing Team neu ein. "Trotzdem haben wir den festen Willen und die Skills, es heuer an die Spitze zu schaffen", sagt Steinacher zuversichtlich.

Im Dezember werden die beiden wissen, ob diese Zuversicht gerechtfertigt war. Und zwar ausgerechnet in Sydney, wo sie einst damit begonnen haben, Sportgeschichte zu schreiben ...


16. – 19. März: Muscat/Oman
28. April – 1. Mai: Qingdao/China
23. – 26. Juni: Cardiff/Wales, UK
28. – 31. Juli: Hamburg/Deutschland
1. – 4. September: St. Petersburg/Russland
22. – 25. September: Istanbul/Türkei
6. – 9. Oktober: Lissabon/Portugal
8. – 11. Dezember: Sydney/Australien

Roman Hagara (geb. 30. April 1966, Wien)
Hans Peter Steinacher (geb. 9. September 1968, Zell am See)

Gemeinsame Erfolge: Tornado-Olympiasieg 2000 (Sydney) und 2004 (Athen), mehrmals Weltmeister
und Europameister

Erfolge bei den Extreme Sailing Series:
4. Platz 2012 (Sieger Oman Air/Oman)
3. Platz 2013 (Sieger The Wave Muscat/Oman)
6. Platz 2014 (Sieger Alinghi/Schweiz)
3. Platz 2015 (Sieger The Wave Muscat/Oman)


Zusätzliche Aufgaben:
Sportdirektoren bei Red Bull Foiling Generation und Youth America’s Cup
Aktuelle Crew des Red Bull Sailing Teams:
Steward Dodson, Bradley Farrand (beide Neuseeland), Adam Piggott (UK)

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