Texas: Der deutscheste Ort der Prärie
Man spricht Deutsch, nach wie vor, mitten im Hill Country von Texas. Dort, wo sich im 19. Jahrhundert deutschsprachige Siedler niederließen, werden von den Nachfahren bis heute Bräuche und Traditionen am Leben gehalten – vom Wurstfest bis zum Lebkuchen und mit einem starken Hang zur Volkstümlichkeit
Es fühlt sich irgendwie sehr deutsch an und trotzdem doch irgendwie anders. Ein bisschen wirkt es, als befände man sich in einem seltsam verschobenen, eigentümlich volkstümlichen Paralleluniversum. So, als wäre man in einer amerikanisierten Deutschland-Version aufgewacht, die sich ein paar Texaner in einem bayerischen Fiebertraum nach zu viel Schweinsstelze und Weißbier ausgedacht haben. „Gemütlichkeit zur Ewigkeit“ prangt da über einer großen Wandmalerei, aus deren wild heimatverbundener Wurstplattenfantasie unter anderem eine strohblonde Dirndlschönheit lächelt.

Die Bäcker von „Naegelin’s“, eröffnet bereits 1868, ein paar Schritte weiter backen das ganze Jahr Lebkuchen, Pfeffernüsse und Apfelstrudel. Und in „Krause’s“-Biergarten stößt man unter den Flaggen mit den Wappen der Stadtgründer-Familien an, während die Kellnerin zum Bier deftige Schnitzel oder Bratwürstel mit Sauerkraut an den Bierbank-Tischreihen serviert. Mittwoch ist Polka-Nacht. Werbung für das nächste Dachshundrennen gibt es auch. Willkommen in New Braunfels! Mitten in Texas.

Wassertank: „In New Braunfels ist das Leben schön“.
Schon am Ortseingang wird man dort auf Deutsch begrüßt. Auf einem aufragenden Wassertank steht in übergroßen Buchstaben „In New Braunfels ist das Leben schön“. Wer als Tourist hierherkommt, dürfte daran wenig Zweifel haben. Und gemütlich ist sie auch, diese Kleinstadt, in der die Einheimischen deutscher Abstammung bis heute versuchen, ihre Version deutscher Kultur zu erhalten. Maßgeblich engagiert ist in dieser Hinsicht die „German-American Society“, die eine Möglichkeit zum Austausch bietet und unter anderem eine deutsche Sommerschule organisiert. Frauen gibt es in der Gesellschaft keine. Dafür sind unabhängig vom Familienstand alle anderen Opas – so nennen sich nämlich die Mitglieder. Jüngere, frisch Dazugestoßene sind „kleine Opas“ und bekommen eine grüne Weste. In der nächsten Stufe werden sie „Opa“ mit roter Weste. Schließlich, im hohen Alter dann, bekommen sie den Titel „Senior Opa“. Auch Benno Engel, ein pensionierter Deutschlehrer knapp über siebzig, und der mittfünfzigjährige Anwalt Frank Suhr sind Opa in der Gesellschaft.

„Die deutschen Gemeinschaften in dieser Region lebten über lange Zeit isoliert“, erklärt Engel. Die ersten Generationen heirateten untereinander und bewahrten auf diese Weise ihre Bräuche und ihre Kultur. „Noch in den 70ern sprachen fast alle in New Braunfels Deutsch.“ Heutzutage werden auf den Treffen der deutsch-amerikanischen Gesellschaft die Sprachkenntnisse zwar noch wachgehalten. Verglichen mit damals ist Deutsch im Alltag aber mittlerweile nicht mehr so deutlich präsent. Das deutsche Erbe verschwindet langsam: Nicht nur bei der jüngeren Generation, sondern auch, weil New Braunfels immer mehr wächst und andere Kulturen und Einflüsse dazukommen. Hatte die Stadt Anfang der 70er Jahre 17.000 Einwohner, sind es jetzt mehr als 80.000. „Wir werden amerikanisiert“, sagt Suhr.
Mit großen Träumen über das Meer
Die deutschen Wurzeln von New Braunfels reichen zurück bis ins Jahr 1844. Damals fuhren die Auswanderer, unter ihnen zahlreiche Adelige, von Bremen in Richtung USA und landeten nach der gefährlichen, wochenlangen Atlantik-Überfahrt in Galveston an der texanischen Golfküste. Wie andere Immigranten hatten sie große Träume von einem Neuanfang im Gepäck, als sie von Carl Prinz zu Solms-Braunfels, auch Texas-Carl genannt, empfangen und ins texanische Hill Country geführt wurden. Am Zusammenfluss von Comal River und Guadalupe River kaufte der Prinz schließlich etwas Land und gründete 1845 dort New Braunfels.
Solms selbst setzte sich zwar wenige Monate später schon wieder nach Deutschland ab, und auch aus der ursprünglich geplanten, deutschen Kolonie wurde nichts. Die anderen Auswanderer blieben jedoch und werkelten an ihrem neuen Leben in dieser sanft hügeligen, grünen Gegend, die Erinnerungen an Hessen oder die Eifel wachrufen. Das soll tatsächlich einer der Gründe gewesen sein, warum die Siedler sich hier niederließen. Das zottelig von vielen Bäumen hängende Spanische Moos, so wird zumindest gern augenzwinkernd kolportiert, soll sie zudem an Sauerkraut erinnert haben.
Auf das Erbe dieser Vorfahren sind viele New Braunfelser wie Suhr und Engel bis heute stolz. Ihr Bild von deutscher Kultur wirkt einerseits etwas aus der Zeit getrudelt und ist andererseits stark süddeutsch geprägt: von alten Traditionen und von Lederhosen, Bier, Dackeln und nicht zuletzt natürlich von der Wurst. Das legendäre Event des Jahres ist schließlich das „Wurstfest“. Hunderttausende amüsieren sich dann deutschlandselig unter dem Motto „Sprechen Sie Fun?“. Zu keinem deutschen Volksfest in den USA kommen mehr Besucher.
Ein legendäres „Wurstfest“ gibt es im rund hundert Kilometer entfernten Fredericksburg, eine weitere deutsche Siedlung in Texas, zwar nicht. Dafür wird jedes Jahr aber das Oktoberfest zünftig gefeiert – und darüber hinaus stößt man auch hier vielerorts auf deutsche Spuren. Ein Blickfang dort ist die achteckige Vereinskirche. Ursprünglich wurde sie 1847 fertiggestellt und diente als Kirche, Schule und Treffpunkt. Nach dem Abriss fünfzig Jahre später wurde sie 1935 wieder neu errichtet. Heute beherbergt die „Kaffeemühle“ ein kleines Museum.
"Pioneer Museum"
Eine sehr anschauliche Reise in die Vergangenheit der deutschen Siedler gibt es zudem nicht weit entfernt im „Pioneer Museum“. Dort sitzt Evelyn Weinheimer im musealen Klassenraum eines alten Schulhauses und erzählt über die Ausstellung historischer Gebäude – mit einer leicht hessischen Färbung, die sich selbst über die Generationen nicht herausgewachsen hat. Auf dem Gelände ist zu sehen, wie die Siedler einst in den Blockhütten lebten. Auch sogenannte „Sonntagshäuser“ stehen dort. „Das waren kleine Holzgebäude, die die Farmer am Wochenende nutzten, wenn sie in die Stadt kamen, um ihre Waren zu verkaufen, zum Tanz zu gehen und den Gottesdienst zu besuchen“, sagt die 72-Jährige.

Deutsches Reinheitsgebot
Auch außerhalb der Museen, im Hier und Jetzt, sind die deutschen Ursprünge noch sichtbar. In der „Altstadt Brewery“ etwas außerhalb beispielsweise wird seit nicht allzu langer Zeit Craft-Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut. Auf der Main Street zwischen all den individuellen Shops, Boutiquen und Antiquitätengeschäften findet man eine deutsche Bäckerei, deutsche Restaurants und zahlreiche Anspielungen auf Deutsch. Mit einem etwas anderen Ansatz überrascht etwas versteckt in einer Parallelstraße das Restaurant „Otto’s“ von John Washburne. Der 34-Jährige wuchs in Dallas auf, wo Dirk Nowitzki zu seinen Jugendhelden gehörte. Er mag Filme von Fassbinder und die Musik von Kraftwerk. Als Jugendlicher trank er auf einer Deutschlandreise mit seinen Eltern sein erstes Bier – in einem türkischen Imbiss. Seitdem kehrte er immer wieder zurück, und das merkt man durchaus.
„Das deutsche Essen ist in den USA falsch dargestellt, es ist meist bayerisches Essen, tatsächlich aber gibt es ja noch viel mehr“, sagt Washburne in seinem kleinen Restaurant im Bistro-Stil, das ohne Deutschlandflaggen und Volkstümelei auskommt. So stehen zwar auch im „Otto’s“ Sauerkraut und Bratwurst auf der Karte. Es kommen aber auch Varianten von Spätzle, Flammkuchen, manchmal sogar Döner Kebab auf den Tisch. Einen etwas moderneren, weiter gefassten Blick auf Deutschland gibt es also durchaus – und gemütlich ist es dabei trotzdem.
Abenteuer in Texas: 3 Tipps
Klimafreundliche Anreise
Bis Austin mit dem Flugzeug, beispielsweise mit Austrian Airlines ab etwa 650 € oder British Airways ab etwa 700 € mit Zwischenstopp.
CO2-Kompensation via climateaustria.at: 65 €. Dann mit dem Mietwagen weiter nach Deutsch-Texas
Übernachten
– Das „Gruene River Hotel & Retreat“ ist ein elegantes Boutique-Hotel im Südstaatenstil am Guadalupe River. Ab 200 € pro Zimmer/ Nacht; grueneriverhotel.com
– Beim „Fredericksburg Inn & Suites“ handelt es sich um ein Mittelklassehotel mit kleinem Pool in zentraler Lage. Ab 120 € pro Zimmer/ Nacht; fredericksburg-inn.com
Essen & Trinken
– Im Krause’s Biergarten & Café in New Braunfels kann man zünftig essen (krausescafe.com)
– Feiner und einfallsreicher ist Otto’s German Bistrot, wo die Definition deutscher Küche etwas weiter gefasst ist (ottosfbg.com)
– In der Altstadt Brewery in Fredericksburg wird nach dem Reinheitsgebot gebraut
(altstadtbeer.com)
Tipps
– Urige Locations mit Livemusik: Ein Besuch in der traditionellen Tanzhalle „Gruene Hall“ (gruenehall.com) gehört genauso zu den Texas-Highlights wie das einzigartige Luckenbach (luckenbachtexas.com).
– Im heißen Texas-Sommer kann man sich beim Tubing etwas abkühlen, indem man sich im Gummireifen und mit kalten Getränken auf dem Comal River treiben lässt. Zahlreiche Anbieter dafür gibt es in Gruene und New Braunfels (u. a. texastubes.com)
Allgemeine Infos
PlayInNewBraunfels.com
visitfredericksburgtx.com
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