Sex bei 140 km/h: Wie Adrenalin das Gehirn täuscht
Orgasmus bei 140 km/h, Fummelei unter Zeitdruck, Begegnungen auf der Hängebrücke des Lebens.
Diesen Einsatz werden deutsche Polizisten wohl nicht so schnell vergessen: Ein Pärchen wurde aus dem Verkehr gezogen, weil es – laut Zeugen – bei rund 140 km/h Sex auf der Autobahn hatte. Während der Fahrer vielleicht gerade kam, kam das Fahrzeug ins Schlingern und mehrmals von der Spur ab, ein LKW musste auf den Pannenstreifen ausweichen. Sexzess auf der Überholspur: Wenn man bedenkt, dass viele schon nervös werden, wenn sie beim Fahren nur kurz die Sitzheizung um einen Grad verstellen, ist das … ambitioniert. Aber warum finden manche Sex erst dann prickelnd, wenn die Vernunft schon panisch die Warnblinkanlagen anknipst?
Die psychologische Grundlage dafür heißt – etwas sperrig – Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion. Sie besagt, dass Gefühle aus zwei Komponenten entstehen: erstens einer körperlichen Reaktion (Herzrasen, schwitzige Hände, flacher Atem), zweitens der Deutung dieser Reaktion durch das Gehirn. Das läuft ungefähr so: Der Körper sendet Signale – und der Kopf sucht eilig nach einer Erklärung. Wow! Das muss Liebe sein! Lust! Leider geil! Dass dieselben Symptome auch auf Stress, Angst oder Panik hindeuten könnten, kommt dem inneren Märchenerzähler nicht immer in den Sinn.
"High" mit Lust verwechseln
So dürfte auch das Gehirn des Autobahn-Don-Juans die körperliche Aufregung durch Tempo und Risiko fälschlich als sexuelle Erregung gedeutet haben. Tatsächlich war er – neurobiologisch gesehen – einfach im Adrenalinrausch. Der Kopf verwechselt dieses „High“ mit Lust: Der Mix aus Gefahr und Geschwindigkeit potenziert sich, fühlt sich nach Begierde an – nicht trotz, sondern wegen des Risikos.
Berühmt wurde dieses Prinzip durch das sogenannte Brücken-Experiment: Männer überquerten entweder eine stabile Brücke oder eine schwankende Hängebrücke über einer Schlucht. Danach trafen sie eine Frau. Die von der Wackelbrücke hielten sie für besonders attraktiv und fühlten sich angezogen – ein klassischer Fall von Fehlzuordnung durch Erregung. Dass dieses Prinzip funktioniert, zeigen viele Alltagssituationen: Paare wirken nach einem Gruselfilm oft „verbundener“, weil beide kurz dachten, der Killer sei hinterm Sofa. Oder nach einer Achterbahnfahrt, wenn Herzklopfen, Atemnot und Adrenalin plötzlich als romantisches Kribbeln durchgehen.
Dazu kommt ein Persönlichkeitstyp namens „Sensation Seeker“: Menschen, die mehr Reiz benötigen, um sich lebendig zu fühlen. Für sie wird Lust oft erst durch Risiko, Abwechslung, Zeitdruck, Grenzüberschreitung spannend. Heißt: Sex an ungewöhnlichen oder riskanten Orten. Neurobiologisch zeigen Studien, dass solche Leute stärker auf Dopamin reagieren – das „Belohnungshormon“, das dabei ausgeschüttet wird. Je mehr sie probieren oder riskieren, desto intensiver fühlen sie. Wo andere Stress spüren, erleben sie den Rausch des Lebens – auch beim Sex. Für diese Gruppe klingt „Vögeln bei 140 km/h“ nicht nach Wahnsinn, sondern nach Gelegenheit. Das Verkehrsdelikt als Vorspiel, quasi – zum Leidwesen der Polizei und jener, die auf der Nebenspur plötzlich mehr sehen, als ihnen lieb ist.
Buchtipp
Tabu oder Chance? Die Sexualtherapeutin und Organisationspsychologin Nancy Hanisch bricht mit ihrem Buch „Karrierefaktor Sex“ (GOLD Verlag, € 20,95) ein lange verdrängtes Thema auf: Liebe, Lust und Nähe am Arbeitsplatz. Statt nur vor Risiken zu warnen, zeigt sie, welches Potenzial darin steckt, wenn Unternehmen und Führungskräfte offener mit Intimität im Job umgehen – und warum gerade das ein Wettbewerbsvorteil sein kann.
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