Sprachforschung: "Don’t let your Hunzi brunzi"

Ein Fahrradständer mit einem Aufkleber mit der Aufschrift „nices leben“.
Eine Germanistin findet auf Wiens Straßen so manche Ungereimtheit und bei Weitem nicht alles lustig.
Von Uwe Mauch

Wie verändert sich unsere Sprache im öffentlichen Raum? Verdrängt das Englische das Deutsche? Die Germanistin Barbara Soukup und ihr Team haben im Rahmen des Forschungsprojekts ELLViA gut 17.000 schriftliche Belege auf Wiens Straßen fotografiert, katalogisiert und ausgewertet. Manches Ergebnis ihrer Studie hat die Forscherin der Universität Wien selbst überrascht.

KURIER: Können Sie noch spazieren gehen, ohne gleichzeitig Sprachforschung zu betreiben?

Barbara Soukup: Das kann weder ich noch können das meine Projektassistentinnen, und hoffentlich auch meine Studierenden nicht mehr. Das ist aber auch das Schöne an der Soziolinguistik. Wir erforschen die enge Wechselbeziehung zwischen Sprache und Gesellschaft. Und weil Sprache überall ist, ist auch die Soziolinguistik überall. Durch ihren Blickwinkel kann man viel über das soziale Zusammenleben erfahren.

Eine Schiefertafel wirbt mit der Aufschrift „Vegane Kuchen auch to go“.

Sie haben gut 17.000 schriftliche Botschaften im öffentlichen Raum gesammelt. Wo haben Sie diese gefunden und aufgenommen?

Man kommt bei dieser Sprachlandschaftsforschung schnell drauf, dass eine Unzahl von Dingen im öffentlichen Raum beschriftet ist: Klassiker sind Verkehrsschilder und Werbeplakate. Aber auch Kanaldeckel, Hydranten, Alarmanlagen, Kaugummiautomaten, Straßenlaternen und Mistkübel sind beschriftet. Und selbst auf den Schrauben, mit denen der Mistkübel an der Stange eines Verkehrszeichens befestigt ist, steht was drauf: Kürzel für Herkunft und Machart. Das alles haben wir analysieren müssen.

In welchen Wiener Bezirken waren Sie und Ihr Team unterwegs?

Abschnittsweise in der Inneren Stadt, in der Josefstadt, in Währing, Döbling und parallel in Ottakring und Floridsdorf. Insgesamt haben wir 4,8 km Straße durchgekämmt.

Was hat sich bei Ihnen eingeprägt?

Die Vielfalt. Sie hat mich überrascht. In Wien findet man auf einem Meter Straße durchschnittlich vier Dinge, die einen Schriftzug tragen. Deswegen haben wir zum Beispiel am Graben fünf Tage für 200 Meter Straßenzug benötigt.

"Vegane Kuchen auch to go", von Ihnen im zweiten Bezirk aufgeschnappt, ist jetzt welche Sprache genau: Deutsch, Englisch oder eine Melange aus beiden?

Das war ein Zufallsfund in der Auslage eines Kaffeehauses, insofern trifft’s Melange gut. Man könnte ja – aus der Etymologie heraus – einfach argumentieren, dass to go Englisch ist. Doch der Ausdruck ist sowohl im Duden als auch im Österreichischen Wörterbuch vermerkt.

Haben wir ihn absorbiert?

Das ist eine gute Frage. Im Bereich Essen und Trinken könnte das bereits die normale, also die unauffällige Variante sein.

Und wie bewerten Sie dann "Kaffee zum Gehen"?

Wenn ich meine Studierenden frage, finden sie das Offert eher lustig als normal, als ironische deutsche Rückübersetzung von to go. Also was ist nun authentischer?

Sprachpuristen sorgen sich seit vielen Jahren, dass wir von der englischen Sprache überflutet werden. Ist diese Angst begründet?

Das sehen wir in der Sprachwissenschaft sehr entspannt. Sprache ändert sich laufend und unweigerlich, weil wir sie an unsere Lebensumstände anpassen. Derzeit fließt halt einiges an Englisch ein. Vor 200 Jahren war es Französisch, und in Zukunft wird es mal was anderes sein. Sprachwandel aufhalten oder nachhaltig beeinflussen zu wollen, ist verlorene Liebesmüh’. Das schafft nicht einmal die berühmte Academie Française, und die arbeitet schon seit dem 17. Jahrhundert stetig und seit 100 Jahren angesichts der Anglizismen umso verbissener daran, das Französische "rein" zu halten.

Eine Person fotografiert ein blaues Plakat mit der weißen Aufschrift „why?“.

Wie viel Englisch haben Sie im Straßenbild von Wien gefunden?

Nur etwa zehn Prozent, 40 Prozent sind Deutsch, nur zwei Prozent andere Sprachen. Der Rest sind Artefakte, die keiner Sprache eindeutig zuordenbar sind: Ziffern und Kürzel wie zum Beispiel bei den Schrauben, aber auch Aufschriften, die sich auf Namen oder URLs beschränken. Nur weniger als ein Prozent kommt übrigens aus dem österreichischen Dialekt.

Noch zur Werbung: Warum locken die einen wie eh und je mit "Ausverkauf" und die anderen mit "Sale"?

Englisch suggeriert in Österreich nachweislich den Effekt von Modernität, Internationalität und Jugendlichkeit. Aber es hängt auch von der Kundschaft ab. Bei Jüngeren kommt das Englische besser an, da gibt es eine gewisse Erwartungshaltung, da ist "Sale" völlig normal. Meine Studierenden haben auch herausgefunden, dass Englisch im Lifestyle-Bereich besser wirkt als in der Gastronomie. Dort werden die Ausdrücke aus der englischen Küche nicht unbedingt mit Qualität und Vertrauenswürdigkeit verbunden.

Wo konnten Sie sich auf der Straße ein Lächeln nicht verkneifen?

Es gibt dankenswerterweise Menschen, die alltägliche Botschaften mit Humor gestalten. Legendär ist die Aufschrift auf einem Zeitungsständer einer Trafik im ersten Bezirk: Don’t let your Hunzi brunzi on my papers! So ein Schild ist die Belohnung für mindestens dreißig eintönig beschriftete Schrauben.

Ein Zeitungsstand mit verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, darunter „The Economist“ und „Die Zeit“.

AUFRUF:  Die Leser und Leserinnen des KURIER werden höflichst gebeten, amüsante wie informative Fundstücke im Dienste der Sprachforschung der Universität Wien an ellviaproject@gmail.com zu mailen.

Kommentare