Ab Dezember 2019 untersuchte er die Zusammenhänge zwischen Arbeit und Gesundheit, die durchaus auf Österreich übertragbar seien. 2.000 Erwerbstätige zwischen 16 und 80 Jahren bekamen einen Online-Fragebogen, in dem zuerst die Big Five abgefragt wurden. In der Persönlichkeitsforschung werden so die fünf wichtigsten Merkmale erfasst: Offenheit gehört dazu, Gewissenhaftigkeit, soziale Verträglichkeit, Verletzlichkeit – und auch die Frage, ob ein Mensch eher extrovertiert oder introvertiert ist. Extroversion und Introversion kann man sich dabei als die beiden Enden einer Skala vorstellen.
Reize von Außen
Je weiter ein Mensch auf dieser Geselligkeitsskala zu Extroversion neigt, desto mehr fokussiert er sich auf Reize von außen. Menschen, Trubel, Partys, große Gruppen. Für Introvertierte dagegen ist es wahrlich nicht das Schlimmste, allein zu Hause zu sitzen.
Im März 2020 hat Zachers Team die Studie angepasst, man begann, die Teilnehmer monatlich zu befragen, wie sie Corona erleben. „Wir haben beobachtet, wie sich das Wohlbefinden über die Zeit veränderte. Für Extrovertierte bedeutet der Lockdown eine große Umstellung, weil sie ihr Bedürfnis nach sozialen Kontakt nicht befriedigen können. Unter Nicht-Pandemie-Bedingungen würde man zu den Introvertierten sagen: ,Mensch, geh doch mal raus, unter Leute.‘ Vielleicht sollte man jetzt die Extrovertierten unterstützen und ihnen sagen: ,Vielleicht versuchst du, dein Bedürfnis nach sozialen Kontakten virtuell zu befriedigen.‘“
Andere Meinungen
Andere Wissenschafter haben sich allerdings gefragt, ob die These vom Vorteil der Introvertierten nicht zu kurz greife. Die australische Psychologin Maryann Wei etwa hat dazu 114 Personen befragt – Amerikaner, Engländer, Kanadier, Australier und Deutsche – und kam zu einem anderen Ergebnis: Entgegen populärer Annahmen hätten Introvertierte psychisch mehr gelitten als Extrovertierte.
„Ich glaube, dass man das differenziert betrachten muss“, sagt Beate Schrank, Psychiaterin an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften. „Im ersten Lockdown habe ich viel und oft gehört: ,Oh, wie gut! Jetzt brauche ich nicht raus.‘ Das kam vor allem von Leuten mit sozialen Ängsten.“ Mittlerweile hat Schrank aber den Eindruck, dass es mit der Dauer der Isolation für alle schwieriger wird, denn auch Introvertierte haben das Bedürfnis eine Beziehung zu führen, Partner und Freunde zu haben, bei denen sie sich sicher fühlen. Gerade für die, die sich schwertun mit dem Kontakte knüpfen, sei die Situation doppelt brisant.
Introvertierte können meist auch schlechter mit dem Verlust von Strukturen umgehen. Sie neigen ohnehin mehr zum Grübeln, während Extrovertierte optimistischer sind. Darum raten Psychologen, die Introvertierten hin und wieder danach zu fragen, wie es ihnen geht. Die Extrovertierten rücken ohnedies ungefragt damit heraus.
Wertewandel
Zacher jedenfalls hält es durchaus für möglich, dass sich in der gesellschaftlichen Wertschätzung mit Fortdauer der Pandemie noch einiges tun könnte: „In Führungspositionen sind normalerweise die extrovertierten Macher gefragt, aber wir wissen aus der Forschung, dass es eigentlich von Vorteil ist, wenn Chefs gut zuhören können und einfühlsam sind. Ich kann mir also vorstellen, dass vermehrt Introvertierte Chefpositionen erobern.“
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