Auf dem Spiegelselfie trägt sie pinke Pumps, modische Jeans und offene Haare, die auf ein schwarzes T-Shirt mit weißem Kragen fallen. „Mein Beruf hat mir in den vergangenen Wochen wieder so viele schöne Momente beschert“, schreibt sie darunter, „als ich sagen durfte: ‚Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geists.‘ Als ich den Segen zu einer Ehe sprechen durfte. Und als ich die letzte Ehre erwies...“
Die Frau auf dem Foto heißt Julia Schnizlein, ist 41, Ehefrau, zweifache Mutter und studierte Theologin. Unter dem Namen @juliaandthechurch gibt sie auf Instagram Einblicke in ihren Alltag als angehende evangelische Pfarrerin.
Keine Parallelkirche
Schnizlein ist Vertreterin der digitalen Kirche, eine Influencerin der neuen Art: Statt Make-up und Diät-Drinks preisen die die Botschaft Gottes und verpassen der Kirche ein modernes Gesicht. Der deutschen Pastorin, Feministin und Alleinerzieherin Josephine Teske alias @seligkeitsdinge etwa folgen auf Instagram mehr als 15.000 Menschen. Zum Vergleich: 2018 traten ca. 58.000 Österreicher aus der katholischen Kirche aus. Die Kirche schrumpft, gleichzeitig steigt die Sehnsucht nach Spiritualität, Sinn und Halt in einer Gemeinschaft.
„Die digitale Kirche ersetzt die analoge nicht“, betont Julia Schnizlein. „Aber die sozialen Medien sind eine weitere Möglichkeit, das Evangelium zu verkünden. In einer digitalen Welt sollten wir dort auch mit der Botschaft der Kirche präsent sein.“ Auch digitale Seelsorge funktioniere, berichtet die Wienerin. „In meinen Instagram-Storys biete ich an, dass mir die Menschen ihre Sorgen und Hoffnungen schreiben – und ich bete dann für sie. Oder sie schreiben mich an und ich versuche, so gut wie möglich darauf einzugehen. Das Beichtgeheimnis gilt natürlich auch online.“
Ihre Texte in den sozialen Medien klingen tröstlich, lebensnah und aktuell („Warum gibt es so viele Trennungen nach den Feiertagen?“). „Viele haben Vorbehalte gegen die Institution Kirche und kommen dadurch erst gar nicht mit den Glaubensinhalten in Kontakt“, bedauert Schnizlein. „Ich finde es wichtig, dass wir die Bibel ins Jetzt übersetzen. Dafür ist die digitale Kirche gut geeignet, weil die sozialen Medien niederschwellig sind und man gezwungen ist, die Essenz des Glaubens herauszuholen.“
Bischof auf Facebook
Auch die katholische Kirche, deren Oberhaupt Papst Franziskus fast täglich twittert und in der Fastenzeit jeden Tag ein SMS verschickt, entdeckt nach und nach die Vorzüge der neuen Medien.
Ein emsiger Facebook-Nutzer ist der 2015 zum Bischof geweihte Steirer Wilhelm Krautwaschl: Fast 7.000 Menschen nehmen im größten sozialen Netzwerk an seinem Alltag als Bischof teil, seine Postings verfasst der 56-Jährige „zu 99 Prozent“ selbst. Die Titelbilder auf seiner Facebook-Seite werden der Saison angepasst, seit ein paar Tagen ist der Bischof mit Sternsingern zu sehen. Die Reaktionen auf seine Online-Präsenz seien durchwegs positiv, verriet er dem KURIER: „Bilder vom ‚normalen‘, menschlichen Bischofsalltag, zum Beispiel beim Straßenbahnfahren, haben die meisten Interaktionen. Unpassende Kommentare kommen so gut wie keine. Am öftesten schicken Menschen Bilder von Begegnungen mit mir oder bedanken sich für eine Begegnung.“
Interesse wecken
Über die sozialen Medien erreicht er Menschen, die mit der Kirche nicht so viel zu tun haben, sagt Krautwaschl. „Dadurch kann es sein, dass das Interesse an dem, wofür Kirche steht, geweckt wird.“
Seine Diözese, Graz-Seckau, beschäftigt seit einem Jahr sogar ein eigenes Online-Team, welches unter @kathkirchestmkFacebook, Twitter und Instagram bespielt. „Zuletzt ist der Online-Adventkalender mit 24 Krippenfiguren aus der Steiermark gut angekommen“, berichtet Social-Media-Redakteurin Julia Rust. „Im Sommer gab es eine Serie mit Fotos und Bibelzitaten, die zahlreich geteilt wurde.“ Ziel der Social-Media-Präsenz sei es, ein vollständigeres Bild von der katholischen Kirche zu vermitteln – von sozialem Engagement bis zu punktuellen Glaubensinhalten. „Nach dem Motto: Die Kirche ist da, wo die Menschen sind.“
In den Kirchenbänken, das zeigt ein Blick auf die neuerlich angestiegenen Austrittszahlen von 2019, sind sie immer seltener. Kann die digitale Kirche eine Chance sein, den Negativtrend umzudrehen und das ramponierte Image aufzupoliern? Nicht nur Geistliche, auch junge Gläubige bringen ihre Religion immer öfter ins Social Web, Superstars wie Justin Bieber und Kanye West schwärmen vor Millionen Followern von ihren sonntäglichen Messbesuchen.
Authentisch statt autoritär
„Wenn die Kirchen offen sind, sehe ich großes Potenzial“, sagt Schnizlein. Kommunikation funktioniere heute über Authentizität, dafür müsse man kein „Influencer“ sein: „Es reicht, wenn man ehrlich über seine Erlebnisse mit dem Glauben berichtet. Es geht nichts von der Würde der Institution verloren, wenn man auf Autorität verzichtet.“
Auch Jesus hätte der digitalen Kirche ein „Like“ gegeben, ist die Theologin überzeugt. „Jesus ist zu allen Menschen gekommen, war also radikal inklusiv. Er hat seinen Jüngern gesagt, sie sollen die frohe Botschaft auf der ganzen Welt verbreiten. Insofern hätten ihm die sozialen Medien sicher gefallen.“
Erst kürzlich freute sie sich, weil ein Mann aufgrund ihrer Online-Präsenz in die evangelische Kirche eingetreten ist. Gut möglich, dass es bald noch mehr werden. „Danke für die Worte“, steht unter einem ihrer Instagram-Postings. „Ich sollte mal wieder in die Kirche gehen.“
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